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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

Aber nicht jedes derartige Verhalten ist Hinterziehung, sonst
machte sich dieser schuldig, wer die Grundsteuer oder Einkommen-
steuer einfach nicht zahlt, um bei seiner bevorstehenden Auswanderung
durchzuschlüpfen, oder von der Aufforderung zur Erklärung über die
Höhe seines Einkommens sich nicht finden lässt, vielleicht auch schon
der Mann, der seinen Wein jenseits der Zollgrenze trinkt, um den
Zoll zu sparen.

Es muss zu jenem objektiven Thatbestand des nach seiner Natur
auf der Kürzung der Staatseinnahmen hinauslaufenden Verhaltens noch
etwas hinzukommen, was dieses Verhalten als ein fehlerhaftes kenn-
zeichnet.

Unter dem Eindruck des Wortes Defraudation hat man dieses
Element der Fehlerhaftigkeit darin finden wollen, dass eine
Täuschung, eine Erregung von Irrtum stattgefunden haben
müsse13.

Allein das trifft nicht zu bei der Wechselstempelsteuerhinter-
ziehung, bei der Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, bei
der Hinterziehung durch anderweitige Verwendung der Ware, die
für einen bestimmten Zweck zollfrei oder steuerfrei abgelassen
worden war14.

Andererseits ist auch die Täuschung, welche eine Kürzung der
Gefälle zur Folge hat, nicht immer Hinterziehung, sie kann Betrug sein,
sie kann aber auch bloss ein einfaches Zollvergehen sein, weil das
Gesetz diesen Fall nicht als Hinterziehung vorgesehen hat15.

13 G. Meyer, V.R. II S. 202.
14 Vgl. einen Fall der letzteren Art bei Haelschner, Stf. S. 1005. Die Idee
einer Täuschung fällt jedesmal ins Leere, wo die Hinterziehung vor sich geht,
ohne dass von dem ganzen Vorgang der Behörde überhaupt irgend etwas zum
Bewusstsein kommt. Die Wechselstempelsteuer macht das am einleuchtendsten;
vermöge ihrer eigentümlichen Erhebungsform (oben S. 404) entsteht sie und
wird erfüllt oder hinterzogen, ohne dass die Behörde damit zu thun bekommt;
erst an den verbliebenen Spuren des Vorganges mag sie das Geschehene hinter-
drein erkennen. Daher das Wechselstempelsteuerges. § 15 die Hinterziehung ein-
fach bestimmt als "die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempel-
abgabe". Es wird nicht gelingen, da noch das Erfordernis einer Täuschung hinein-
zulegen.
15 Hierfür ist lehrreich der von Kindervater in Goltdammer Arch. Bd. 24
S. 307 ff. besprochene Fall: Der mit Vorbehalt der Nachversteuerung fixierte Brauer
hat genaues Register zu führen über die verwendeten Braustoffe. Dieses Register
wurde zum Zwecke der Umgehung der Nachsteuer unrichtig geführt. O.Tr.
28. Sept. 1876 erkennt, dass hier gleichwohl eine Defraudation nicht vorliegt, weil
keine der Bestimmungen im § 27 des Brausteuergesetzes, wo die Defraudations-
Die Finanzgewalt.

Aber nicht jedes derartige Verhalten ist Hinterziehung, sonst
machte sich dieser schuldig, wer die Grundsteuer oder Einkommen-
steuer einfach nicht zahlt, um bei seiner bevorstehenden Auswanderung
durchzuschlüpfen, oder von der Aufforderung zur Erklärung über die
Höhe seines Einkommens sich nicht finden läſst, vielleicht auch schon
der Mann, der seinen Wein jenseits der Zollgrenze trinkt, um den
Zoll zu sparen.

Es muſs zu jenem objektiven Thatbestand des nach seiner Natur
auf der Kürzung der Staatseinnahmen hinauslaufenden Verhaltens noch
etwas hinzukommen, was dieses Verhalten als ein fehlerhaftes kenn-
zeichnet.

Unter dem Eindruck des Wortes Defraudation hat man dieses
Element der Fehlerhaftigkeit darin finden wollen, daſs eine
Täuschung, eine Erregung von Irrtum stattgefunden haben
müsse13.

Allein das trifft nicht zu bei der Wechselstempelsteuerhinter-
ziehung, bei der Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, bei
der Hinterziehung durch anderweitige Verwendung der Ware, die
für einen bestimmten Zweck zollfrei oder steuerfrei abgelassen
worden war14.

Andererseits ist auch die Täuschung, welche eine Kürzung der
Gefälle zur Folge hat, nicht immer Hinterziehung, sie kann Betrug sein,
sie kann aber auch bloſs ein einfaches Zollvergehen sein, weil das
Gesetz diesen Fall nicht als Hinterziehung vorgesehen hat15.

13 G. Meyer, V.R. II S. 202.
14 Vgl. einen Fall der letzteren Art bei Haelschner, Stf. S. 1005. Die Idee
einer Täuschung fällt jedesmal ins Leere, wo die Hinterziehung vor sich geht,
ohne daſs von dem ganzen Vorgang der Behörde überhaupt irgend etwas zum
Bewuſstsein kommt. Die Wechselstempelsteuer macht das am einleuchtendsten;
vermöge ihrer eigentümlichen Erhebungsform (oben S. 404) entsteht sie und
wird erfüllt oder hinterzogen, ohne daſs die Behörde damit zu thun bekommt;
erst an den verbliebenen Spuren des Vorganges mag sie das Geschehene hinter-
drein erkennen. Daher das Wechselstempelsteuerges. § 15 die Hinterziehung ein-
fach bestimmt als „die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempel-
abgabe“. Es wird nicht gelingen, da noch das Erfordernis einer Täuschung hinein-
zulegen.
15 Hierfür ist lehrreich der von Kindervater in Goltdammer Arch. Bd. 24
S. 307 ff. besprochene Fall: Der mit Vorbehalt der Nachversteuerung fixierte Brauer
hat genaues Register zu führen über die verwendeten Braustoffe. Dieses Register
wurde zum Zwecke der Umgehung der Nachsteuer unrichtig geführt. O.Tr.
28. Sept. 1876 erkennt, daſs hier gleichwohl eine Defraudation nicht vorliegt, weil
keine der Bestimmungen im § 27 des Brausteuergesetzes, wo die Defraudations-
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[454/0474] Die Finanzgewalt. Aber nicht jedes derartige Verhalten ist Hinterziehung, sonst machte sich dieser schuldig, wer die Grundsteuer oder Einkommen- steuer einfach nicht zahlt, um bei seiner bevorstehenden Auswanderung durchzuschlüpfen, oder von der Aufforderung zur Erklärung über die Höhe seines Einkommens sich nicht finden läſst, vielleicht auch schon der Mann, der seinen Wein jenseits der Zollgrenze trinkt, um den Zoll zu sparen. Es muſs zu jenem objektiven Thatbestand des nach seiner Natur auf der Kürzung der Staatseinnahmen hinauslaufenden Verhaltens noch etwas hinzukommen, was dieses Verhalten als ein fehlerhaftes kenn- zeichnet. Unter dem Eindruck des Wortes Defraudation hat man dieses Element der Fehlerhaftigkeit darin finden wollen, daſs eine Täuschung, eine Erregung von Irrtum stattgefunden haben müsse 13. Allein das trifft nicht zu bei der Wechselstempelsteuerhinter- ziehung, bei der Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, bei der Hinterziehung durch anderweitige Verwendung der Ware, die für einen bestimmten Zweck zollfrei oder steuerfrei abgelassen worden war 14. Andererseits ist auch die Täuschung, welche eine Kürzung der Gefälle zur Folge hat, nicht immer Hinterziehung, sie kann Betrug sein, sie kann aber auch bloſs ein einfaches Zollvergehen sein, weil das Gesetz diesen Fall nicht als Hinterziehung vorgesehen hat 15. 13 G. Meyer, V.R. II S. 202. 14 Vgl. einen Fall der letzteren Art bei Haelschner, Stf. S. 1005. Die Idee einer Täuschung fällt jedesmal ins Leere, wo die Hinterziehung vor sich geht, ohne daſs von dem ganzen Vorgang der Behörde überhaupt irgend etwas zum Bewuſstsein kommt. Die Wechselstempelsteuer macht das am einleuchtendsten; vermöge ihrer eigentümlichen Erhebungsform (oben S. 404) entsteht sie und wird erfüllt oder hinterzogen, ohne daſs die Behörde damit zu thun bekommt; erst an den verbliebenen Spuren des Vorganges mag sie das Geschehene hinter- drein erkennen. Daher das Wechselstempelsteuerges. § 15 die Hinterziehung ein- fach bestimmt als „die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempel- abgabe“. Es wird nicht gelingen, da noch das Erfordernis einer Täuschung hinein- zulegen. 15 Hierfür ist lehrreich der von Kindervater in Goltdammer Arch. Bd. 24 S. 307 ff. besprochene Fall: Der mit Vorbehalt der Nachversteuerung fixierte Brauer hat genaues Register zu führen über die verwendeten Braustoffe. Dieses Register wurde zum Zwecke der Umgehung der Nachsteuer unrichtig geführt. O.Tr. 28. Sept. 1876 erkennt, daſs hier gleichwohl eine Defraudation nicht vorliegt, weil keine der Bestimmungen im § 27 des Brausteuergesetzes, wo die Defraudations-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/474>, abgerufen am 23.12.2024.