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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

Was ist der Grund dieser ungewöhnlichen Befugnisse?

Es handelt sich nicht um Ausübung des Begnadigungsrechts.
Dieses Recht ist naturgemäss mit der Person des Fürsten eng ver-
knüpft; es widerstrebt der Delegation an die Behörden38. Thatsäch-
lich haben auch gerade hier solche Delegationen eines Begnadigungs-
rechtes nicht stattgefunden. Das Begnadigungsrecht des Fürsten steht
selbständig neben diesem Verfahren und kann noch ausserdem wirk-
sam werden.

Es ist aber auch hier keine Zuständigkeit der Behörden in Frage
zur Durchbrechung des Vollzugs des Gesetzes im Einzelfall, wie wir
sie beim Steuererlass kennen gelernt haben: die dazu nötige gesetz-
liche Ermächtigung
besteht nicht (oben § 29, III n. 2).

Das Verfahren findet seine Anknüpfung lediglich an dem in der
gewöhnlichen Verwaltung der Staatsgeschäfte begriffenen Ver-
fügungsrechte
über nebenbei erwachsene Geldansprüche. Den
Behörden, welche den einzelnen Zweigen vorstehen, ist mit der Auf-
gabe, die Verwaltung gut und richtig zu führen, von selbst auch die
Befugnis gegeben, die dazu nötigen Verzichte vorzunehmen, wo es
Zweckmässigkeit und Billigkeit erheischen. Da der Verzicht ein be-

"Anklageverhandlungen über Kleinigkeiten, bis zu 1 Thaler Gefälle höchstens, auf
sich beruhen zu lassen". Diese Befugnis gilt auch gegenüber den gewöhnlichen
Ordnungsstrafen des Vereinszollgesetzes: Finanz Min.Reskr. 10. Aug. 1872 (Preuss.
Centr.Bl. S. 304); Bundesratsbeschluss v. 2. Juli 1873; Preuss. Fin.Min.Reskr.
26. Aug. 1873 (Preuss. Centr.Bl. S. 249). Hoyer, Preuss. Stempelgesetzgebung
S. 252, 253. Ein gleicher Verzicht ist auch für die schon festgesetzten Strafen zulässig:
Preuss. Fin.Min.Reskr. 31. Dez. 1862; Hoyer, a. a. O. S. 354, 355. Vgl. auch
Loebe, Zollstrafrecht S. 137; v. Mayr in Wörterbuch II S. 977. -- Über dieses
"Abfindungsverfahren": Wagner, Finanzwissenschaft II S. 708, wo natürlich die
juristisch bedeutsamste Frage, die nach der rechtlichen Zulässigkeit solchen Ver-
fahrens, ohne Gesetz auf Grund der Amtsgewalt allein, nicht aufgeworfen wird.
Das französische Finanzrecht kennt hier das Institut der transaction, einer Ver-
einbarung über die Strafe, namentlich in Enregistrementssachen. Garnier,
dictionnaire de l'enregistrement, Vo amende n. 2137, wo von dem Straferlass unter
Bedingung der sofortigen Zahlung einer geringeren Summe oder einer sonstigen
Leistung die Rede ist (remise sous condition); Vo soumission n. 15431: eine förm-
liche Abmachung zwischen dem Schuldigen und der Behörde zur Festsetzung des
Betrags der verwirkten Strafe. Davon heisst es: du moment que la soumission a
ete acceptee au nom du Tresor le contrat produit ses effets transactionnels -- ein
merkwürdiges Beispiel des öffentlichrechtlichen Vertrags nach dem Muster der
oben (§ 29, III n. 1) erörterten Steuerfixation.
38 Es ist, wie Laband, St.R. II S. 484, mit Recht hervorhebt, den Fürsten
nicht verboten, das Begnadigungsrecht zu delegieren; es ist lediglich Gefühls-
sache, wenn sie es nicht aus der Hand geben zu sollen glauben, und das Volk
teilt dieses Gefühl.
Die Finanzgewalt.

Was ist der Grund dieser ungewöhnlichen Befugnisse?

Es handelt sich nicht um Ausübung des Begnadigungsrechts.
Dieses Recht ist naturgemäſs mit der Person des Fürsten eng ver-
knüpft; es widerstrebt der Delegation an die Behörden38. Thatsäch-
lich haben auch gerade hier solche Delegationen eines Begnadigungs-
rechtes nicht stattgefunden. Das Begnadigungsrecht des Fürsten steht
selbständig neben diesem Verfahren und kann noch auſserdem wirk-
sam werden.

Es ist aber auch hier keine Zuständigkeit der Behörden in Frage
zur Durchbrechung des Vollzugs des Gesetzes im Einzelfall, wie wir
sie beim Steuererlaſs kennen gelernt haben: die dazu nötige gesetz-
liche Ermächtigung
besteht nicht (oben § 29, III n. 2).

Das Verfahren findet seine Anknüpfung lediglich an dem in der
gewöhnlichen Verwaltung der Staatsgeschäfte begriffenen Ver-
fügungsrechte
über nebenbei erwachsene Geldansprüche. Den
Behörden, welche den einzelnen Zweigen vorstehen, ist mit der Auf-
gabe, die Verwaltung gut und richtig zu führen, von selbst auch die
Befugnis gegeben, die dazu nötigen Verzichte vorzunehmen, wo es
Zweckmäſsigkeit und Billigkeit erheischen. Da der Verzicht ein be-

„Anklageverhandlungen über Kleinigkeiten, bis zu 1 Thaler Gefälle höchstens, auf
sich beruhen zu lassen“. Diese Befugnis gilt auch gegenüber den gewöhnlichen
Ordnungsstrafen des Vereinszollgesetzes: Finanz Min.Reskr. 10. Aug. 1872 (Preuſs.
Centr.Bl. S. 304); Bundesratsbeschluſs v. 2. Juli 1873; Preuſs. Fin.Min.Reskr.
26. Aug. 1873 (Preuſs. Centr.Bl. S. 249). Hoyer, Preuſs. Stempelgesetzgebung
S. 252, 253. Ein gleicher Verzicht ist auch für die schon festgesetzten Strafen zulässig:
Preuſs. Fin.Min.Reskr. 31. Dez. 1862; Hoyer, a. a. O. S. 354, 355. Vgl. auch
Loebe, Zollstrafrecht S. 137; v. Mayr in Wörterbuch II S. 977. — Über dieses
„Abfindungsverfahren“: Wagner, Finanzwissenschaft II S. 708, wo natürlich die
juristisch bedeutsamste Frage, die nach der rechtlichen Zulässigkeit solchen Ver-
fahrens, ohne Gesetz auf Grund der Amtsgewalt allein, nicht aufgeworfen wird.
Das französische Finanzrecht kennt hier das Institut der transaction, einer Ver-
einbarung über die Strafe, namentlich in Enregistrementssachen. Garnier,
dictionnaire de l’enregistrement, Vo amende n. 2137, wo von dem Straferlaſs unter
Bedingung der sofortigen Zahlung einer geringeren Summe oder einer sonstigen
Leistung die Rede ist (remise sous condition); Vo soumission n. 15431: eine förm-
liche Abmachung zwischen dem Schuldigen und der Behörde zur Festsetzung des
Betrags der verwirkten Strafe. Davon heiſst es: du moment que la soumission a
été acceptée au nom du Trésor le contrat produit ses effets transactionnels — ein
merkwürdiges Beispiel des öffentlichrechtlichen Vertrags nach dem Muster der
oben (§ 29, III n. 1) erörterten Steuerfixation.
38 Es ist, wie Laband, St.R. II S. 484, mit Recht hervorhebt, den Fürsten
nicht verboten, das Begnadigungsrecht zu delegieren; es ist lediglich Gefühls-
sache, wenn sie es nicht aus der Hand geben zu sollen glauben, und das Volk
teilt dieses Gefühl.
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[468/0488] Die Finanzgewalt. Was ist der Grund dieser ungewöhnlichen Befugnisse? Es handelt sich nicht um Ausübung des Begnadigungsrechts. Dieses Recht ist naturgemäſs mit der Person des Fürsten eng ver- knüpft; es widerstrebt der Delegation an die Behörden 38. Thatsäch- lich haben auch gerade hier solche Delegationen eines Begnadigungs- rechtes nicht stattgefunden. Das Begnadigungsrecht des Fürsten steht selbständig neben diesem Verfahren und kann noch auſserdem wirk- sam werden. Es ist aber auch hier keine Zuständigkeit der Behörden in Frage zur Durchbrechung des Vollzugs des Gesetzes im Einzelfall, wie wir sie beim Steuererlaſs kennen gelernt haben: die dazu nötige gesetz- liche Ermächtigung besteht nicht (oben § 29, III n. 2). Das Verfahren findet seine Anknüpfung lediglich an dem in der gewöhnlichen Verwaltung der Staatsgeschäfte begriffenen Ver- fügungsrechte über nebenbei erwachsene Geldansprüche. Den Behörden, welche den einzelnen Zweigen vorstehen, ist mit der Auf- gabe, die Verwaltung gut und richtig zu führen, von selbst auch die Befugnis gegeben, die dazu nötigen Verzichte vorzunehmen, wo es Zweckmäſsigkeit und Billigkeit erheischen. Da der Verzicht ein be- 37 38 Es ist, wie Laband, St.R. II S. 484, mit Recht hervorhebt, den Fürsten nicht verboten, das Begnadigungsrecht zu delegieren; es ist lediglich Gefühls- sache, wenn sie es nicht aus der Hand geben zu sollen glauben, und das Volk teilt dieses Gefühl. 37 „Anklageverhandlungen über Kleinigkeiten, bis zu 1 Thaler Gefälle höchstens, auf sich beruhen zu lassen“. Diese Befugnis gilt auch gegenüber den gewöhnlichen Ordnungsstrafen des Vereinszollgesetzes: Finanz Min.Reskr. 10. Aug. 1872 (Preuſs. Centr.Bl. S. 304); Bundesratsbeschluſs v. 2. Juli 1873; Preuſs. Fin.Min.Reskr. 26. Aug. 1873 (Preuſs. Centr.Bl. S. 249). Hoyer, Preuſs. Stempelgesetzgebung S. 252, 253. Ein gleicher Verzicht ist auch für die schon festgesetzten Strafen zulässig: Preuſs. Fin.Min.Reskr. 31. Dez. 1862; Hoyer, a. a. O. S. 354, 355. Vgl. auch Loebe, Zollstrafrecht S. 137; v. Mayr in Wörterbuch II S. 977. — Über dieses „Abfindungsverfahren“: Wagner, Finanzwissenschaft II S. 708, wo natürlich die juristisch bedeutsamste Frage, die nach der rechtlichen Zulässigkeit solchen Ver- fahrens, ohne Gesetz auf Grund der Amtsgewalt allein, nicht aufgeworfen wird. Das französische Finanzrecht kennt hier das Institut der transaction, einer Ver- einbarung über die Strafe, namentlich in Enregistrementssachen. Garnier, dictionnaire de l’enregistrement, Vo amende n. 2137, wo von dem Straferlaſs unter Bedingung der sofortigen Zahlung einer geringeren Summe oder einer sonstigen Leistung die Rede ist (remise sous condition); Vo soumission n. 15431: eine förm- liche Abmachung zwischen dem Schuldigen und der Behörde zur Festsetzung des Betrags der verwirkten Strafe. Davon heiſst es: du moment que la soumission a été acceptée au nom du Trésor le contrat produit ses effets transactionnels — ein merkwürdiges Beispiel des öffentlichrechtlichen Vertrags nach dem Muster der oben (§ 29, III n. 1) erörterten Steuerfixation.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/488>, abgerufen am 31.10.2024.