Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 5. Der Rechtsstaat. die juristischen Begriffe des französischen Verfassungsrechts ergänzenalles. Damit war auch bei uns sofort die Möglichkeit gegeben, die ganze Allein von selbst machte sich das nicht. Man hatte auch zu- Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange Mit dem konstitutionellen System, dem Verfassungsrecht, steht es 12 Loening in Schmollers Jhb. 1881 S. 801: "die Erfahrung hat gelehrt, dass der Polizeistaat auch mit einer konstitutionellen Verfassung sich sehr gut vertragen kann". Ehenso v. Sarwey, Allg. V.R. S. 83. Nach Gneist (Verwaltung, Justiz, Rechtsweg S. 189 u. sonst) wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung durch die "konstitutionelle Parteiregierung" der bisherige "Rechtsstaat" zerstört worden. Beides, die konstitutionelle Parteiregierung (in Preussen!), wie der bisherige Rechtsstaat, ist aber nicht wahr. 13 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17; Rosin, Pol.Verord. S. 3; Gneist, Rechts-
staat S. 161; v. Stein, V.Lehre (1869) I S. 294; Schulze, Preuss. St.R. I S. 358; Gareis, Allg. St.R. S. 140; Seydel, Bayr. St.R. I S. 615. § 5. Der Rechtsstaat. die juristischen Begriffe des französischen Verfassungsrechts ergänzenalles. Damit war auch bei uns sofort die Möglichkeit gegeben, die ganze Allein von selbst machte sich das nicht. Man hatte auch zu- Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange Mit dem konstitutionellen System, dem Verfassungsrecht, steht es 12 Loening in Schmollers Jhb. 1881 S. 801: „die Erfahrung hat gelehrt, daſs der Polizeistaat auch mit einer konstitutionellen Verfassung sich sehr gut vertragen kann“. Ehenso v. Sarwey, Allg. V.R. S. 83. Nach Gneist (Verwaltung, Justiz, Rechtsweg S. 189 u. sonst) wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung durch die „konstitutionelle Parteiregierung“ der bisherige „Rechtsstaat“ zerstört worden. Beides, die konstitutionelle Parteiregierung (in Preuſsen!), wie der bisherige Rechtsstaat, ist aber nicht wahr. 13 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17; Rosin, Pol.Verord. S. 3; Gneist, Rechts-
staat S. 161; v. Stein, V.Lehre (1869) I S. 294; Schulze, Preuſs. St.R. I S. 358; Gareis, Allg. St.R. S. 140; Seydel, Bayr. St.R. I S. 615. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0081" n="61"/><fw place="top" type="header">§ 5. Der Rechtsstaat.</fw><lb/> die juristischen Begriffe des französischen Verfassungsrechts ergänzen<lb/> alles.</p><lb/> <p>Damit war auch bei uns sofort die Möglichkeit gegeben, die ganze<lb/> Verwaltung in der nämlichen Weise „unter das Gesetz“ zu bringen,<lb/> wie das in Frankreich der Zweck der Einrichtung gewesen war; denn<lb/> dafür war es ja gleichgültig, welche Machtverhältnisse zwischen Staats-<lb/> oberhaupt und Volksvertretung hinter dieser Gesetzesform standen.</p><lb/> <p>Allein von selbst machte sich das nicht. Man hatte auch zu-<lb/> nächst gar kein Auge dafür; parlamentarische Redekämpfe und Budget-<lb/> fragen schienen das einzige zu sein, worauf es bei der Neuordnung<lb/> ankam; die Verwaltung, gegen die ja ohnehin keine Erbitterung<lb/> vorhanden war wie in Frankreich, blieb ruhig im alten Stand<note place="foot" n="12"><hi rendition="#g">Loening</hi> in Schmollers Jhb. 1881 S. 801: „die Erfahrung hat gelehrt,<lb/> daſs der Polizeistaat auch mit einer konstitutionellen Verfassung sich sehr gut<lb/> vertragen kann“. Ehenso v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Allg. V.R. S. 83. Nach <hi rendition="#g">Gneist</hi> (Verwaltung,<lb/> Justiz, Rechtsweg S. 189 u. sonst) wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung<lb/> durch die „konstitutionelle Parteiregierung“ der bisherige „Rechtsstaat“ zerstört<lb/> worden. Beides, die konstitutionelle Parteiregierung (in Preuſsen!), wie der bisherige<lb/> Rechtsstaat, ist aber nicht wahr.</note>. Es<lb/> bedurfte einer neuen selbständigen Geistesbewegung, um die Ideen<lb/> des modernen Staates auch da durchzuführen, wo man nicht so einfach<lb/> wie bei der Verfassung von den Franzosen abschreiben konnte, weil<lb/> diese selbst keine klare Formel dafür ausgestellt hatten. Der treibende<lb/> Gedanke, der das Ziel bezeichnet, das angestrebt und schlieſslich<lb/> auch erreicht wird, der die Wissenschaft des öffentlichen Rechts, die<lb/> Programme der Parteien und die gesetzgeberischen Maſsnahmen be-<lb/> herrscht, findet seinen Ausdruck in dem Begriffe des <hi rendition="#g">Rechts-<lb/> staates</hi>.</p><lb/> <p>Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange<lb/> war. Es soll etwas bezeichnen, was noch nicht ist, jedenfalls noch<lb/> nicht fertig ist, was erst noch werden soll. Darum schwankt auch<lb/> der Begriff so sehr, weil jeder immer seine juristischen Ideale hinein-<lb/> zulegen geneigt ist.</p><lb/> <p>Mit dem konstitutionellen System, dem Verfassungsrecht, steht es<lb/> zweifellos in einem gewissen Zusammenhang. Man spricht vom<lb/><hi rendition="#g">Verfassungs- und Rechtsstaat;</hi> erklärt auch wohl geradezu<lb/> den Rechtsstaat für gleichbedeutend mit dem Verfassungsstaat<note place="foot" n="13">v. <hi rendition="#g">Sarwey,</hi> Allg. V.R. S. 17; <hi rendition="#g">Rosin,</hi> Pol.Verord. S. 3; <hi rendition="#g">Gneist,</hi> Rechts-<lb/> staat S. 161; v. <hi rendition="#g">Stein,</hi> V.Lehre (1869) I S. 294; <hi rendition="#g">Schulze,</hi> Preuſs. St.R. I S. 358;<lb/><hi rendition="#g">Gareis,</hi> Allg. St.R. S. 140; <hi rendition="#g">Seydel,</hi> Bayr. St.R. I S. 615.</note>. Aber<lb/> das ist dann verstanden im Sinne eines <hi rendition="#g">vollendeten</hi> Verfassungs-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0081]
§ 5. Der Rechtsstaat.
die juristischen Begriffe des französischen Verfassungsrechts ergänzen
alles.
Damit war auch bei uns sofort die Möglichkeit gegeben, die ganze
Verwaltung in der nämlichen Weise „unter das Gesetz“ zu bringen,
wie das in Frankreich der Zweck der Einrichtung gewesen war; denn
dafür war es ja gleichgültig, welche Machtverhältnisse zwischen Staats-
oberhaupt und Volksvertretung hinter dieser Gesetzesform standen.
Allein von selbst machte sich das nicht. Man hatte auch zu-
nächst gar kein Auge dafür; parlamentarische Redekämpfe und Budget-
fragen schienen das einzige zu sein, worauf es bei der Neuordnung
ankam; die Verwaltung, gegen die ja ohnehin keine Erbitterung
vorhanden war wie in Frankreich, blieb ruhig im alten Stand 12. Es
bedurfte einer neuen selbständigen Geistesbewegung, um die Ideen
des modernen Staates auch da durchzuführen, wo man nicht so einfach
wie bei der Verfassung von den Franzosen abschreiben konnte, weil
diese selbst keine klare Formel dafür ausgestellt hatten. Der treibende
Gedanke, der das Ziel bezeichnet, das angestrebt und schlieſslich
auch erreicht wird, der die Wissenschaft des öffentlichen Rechts, die
Programme der Parteien und die gesetzgeberischen Maſsnahmen be-
herrscht, findet seinen Ausdruck in dem Begriffe des Rechts-
staates.
Das Wort ist aufgekommen, nachdem die Sache bereits im Gange
war. Es soll etwas bezeichnen, was noch nicht ist, jedenfalls noch
nicht fertig ist, was erst noch werden soll. Darum schwankt auch
der Begriff so sehr, weil jeder immer seine juristischen Ideale hinein-
zulegen geneigt ist.
Mit dem konstitutionellen System, dem Verfassungsrecht, steht es
zweifellos in einem gewissen Zusammenhang. Man spricht vom
Verfassungs- und Rechtsstaat; erklärt auch wohl geradezu
den Rechtsstaat für gleichbedeutend mit dem Verfassungsstaat 13. Aber
das ist dann verstanden im Sinne eines vollendeten Verfassungs-
12 Loening in Schmollers Jhb. 1881 S. 801: „die Erfahrung hat gelehrt,
daſs der Polizeistaat auch mit einer konstitutionellen Verfassung sich sehr gut
vertragen kann“. Ehenso v. Sarwey, Allg. V.R. S. 83. Nach Gneist (Verwaltung,
Justiz, Rechtsweg S. 189 u. sonst) wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung
durch die „konstitutionelle Parteiregierung“ der bisherige „Rechtsstaat“ zerstört
worden. Beides, die konstitutionelle Parteiregierung (in Preuſsen!), wie der bisherige
Rechtsstaat, ist aber nicht wahr.
13 v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17; Rosin, Pol.Verord. S. 3; Gneist, Rechts-
staat S. 161; v. Stein, V.Lehre (1869) I S. 294; Schulze, Preuſs. St.R. I S. 358;
Gareis, Allg. St.R. S. 140; Seydel, Bayr. St.R. I S. 615.
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