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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
fähigkeit zum Maßstab genommen. Die anderen Verpflichtbarkeiten
gelten dann erst, wenn die vorangestellten erschöpft sind8.

2. Die Pflicht erhält eine bestimmtere Gestalt mit Eintritt der
zweiten Voraussetzung, des Bedürfnisfalles. Der Bedürfnisfall kann
sich ergeben aus einer amtlichen Maßregel. Er knüpft sich bei
Gemeindelasten an den Beschluß, einen Weg zu bauen oder auszu-
bessern, wofür Hand- und Spanndienste geschuldet sind, an die An-
ordnung eines Gefangenentransportes, Einrichtung eines Nachtwache-
dienstes, einer Pflichtfeuerwehr, welche einzuüben ist; bei Militärlasten
an die Mobilmachung oder an den Beschluß der militärischen Be-
hörden, Marschübungen, Truppendislokationen auszuführen, wozu die
Naturalleistungen eines gewissen Bezirkes nötig werden; bei den Ge-
richtslasten an die Anordnung eines Zeugenverhörs oder Sachver-
ständigengutachtens. Der Bedürfnisfall kann aber auch unmittelbar
hervorgehen aus natürlichen Ereignissen, aus dem Auftreten
der Not, deren Bekämpfung zu den Aufgaben der öffentlichen Ver-
waltung gehört, des Unglücksfalles, der ihre Hülfe erfordert.

Durch den Eintritt des Bedürfnisfalles werden die entsprechenden
Verpflichtbaren nicht schon verpflichtet zu leisten; sie werden dadurch
zunächst nur im allgemeinen berufen, diesem Bedürfnis durch ihre
Leistung abzuhelfen und stehen zur Verfügung, damit ihre in der
Last begründete Pflicht der öffentlichen Verwaltung gegenüber durch
einen einfachen Willensakt fertig gestellt werden könne.

Diesen Willensakt, die letzte Voraussetzung für die Entstehung
der Lastpflicht, bezeichnen wir als die Anforderung. Die An-
forderung ist eine Mitteilung an einen vermöge der öffentlichen Last
zur Leistung Berufenen über die bestimmte Leistung, die von ihm
gemacht werden soll. Die rechtliche Bedeutung der Anforderung ist
nicht die eines obrigkeitlichen Aktes, der auf Grund gesetzlicher Er-
mächtigung die Leistung auferlegt. Die Pflicht entsteht durch den

8 Bei der Quartierlast z. B. wird die Ordnung unter den Pflichtigen dem
Willen des Gesetzes gemäß durch die Gemeindebehörde (Gemeindebeschluß, Orts-
statut) geschaffen. Dieselbe bedeutet aber immer nur eine Rangfolge in der Heran-
ziehung der Pflichtigen, und diese Rangfolge hat nur dadurch soviel freien Spiel-
raum, daß nicht leicht die sämtlichen verfügbaren Wohnräume auf einmal in
Anspruch genommen werden. So kann z. B. nach dem Steuerfuße verteilt, oder
können die Hauseigentümer allein für pflichtig erklärt werden, so daß Mieter
frei ausgehen; V.G.H. 21. Juli 1884 (Samml. V S. 260); desgl. 22. Mai 1885
(Reger VII S. 72). Die gesetzliche Last ruht nach wie vor auf allen Wohnungs-
besitzern, und wenn einmal der beschränkende Verteilungsmaßstab nicht ausreicht,
wird er ohne weiteres durchbrochen, um auch das demnach Freibleibende in An-
spruch zu nehmen; Sickmann, Die Quartierleistung S. 38.

Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
fähigkeit zum Maßstab genommen. Die anderen Verpflichtbarkeiten
gelten dann erst, wenn die vorangestellten erschöpft sind8.

2. Die Pflicht erhält eine bestimmtere Gestalt mit Eintritt der
zweiten Voraussetzung, des Bedürfnisfalles. Der Bedürfnisfall kann
sich ergeben aus einer amtlichen Maßregel. Er knüpft sich bei
Gemeindelasten an den Beschluß, einen Weg zu bauen oder auszu-
bessern, wofür Hand- und Spanndienste geschuldet sind, an die An-
ordnung eines Gefangenentransportes, Einrichtung eines Nachtwache-
dienstes, einer Pflichtfeuerwehr, welche einzuüben ist; bei Militärlasten
an die Mobilmachung oder an den Beschluß der militärischen Be-
hörden, Marschübungen, Truppendislokationen auszuführen, wozu die
Naturalleistungen eines gewissen Bezirkes nötig werden; bei den Ge-
richtslasten an die Anordnung eines Zeugenverhörs oder Sachver-
ständigengutachtens. Der Bedürfnisfall kann aber auch unmittelbar
hervorgehen aus natürlichen Ereignissen, aus dem Auftreten
der Not, deren Bekämpfung zu den Aufgaben der öffentlichen Ver-
waltung gehört, des Unglücksfalles, der ihre Hülfe erfordert.

Durch den Eintritt des Bedürfnisfalles werden die entsprechenden
Verpflichtbaren nicht schon verpflichtet zu leisten; sie werden dadurch
zunächst nur im allgemeinen berufen, diesem Bedürfnis durch ihre
Leistung abzuhelfen und stehen zur Verfügung, damit ihre in der
Last begründete Pflicht der öffentlichen Verwaltung gegenüber durch
einen einfachen Willensakt fertig gestellt werden könne.

Diesen Willensakt, die letzte Voraussetzung für die Entstehung
der Lastpflicht, bezeichnen wir als die Anforderung. Die An-
forderung ist eine Mitteilung an einen vermöge der öffentlichen Last
zur Leistung Berufenen über die bestimmte Leistung, die von ihm
gemacht werden soll. Die rechtliche Bedeutung der Anforderung ist
nicht die eines obrigkeitlichen Aktes, der auf Grund gesetzlicher Er-
mächtigung die Leistung auferlegt. Die Pflicht entsteht durch den

8 Bei der Quartierlast z. B. wird die Ordnung unter den Pflichtigen dem
Willen des Gesetzes gemäß durch die Gemeindebehörde (Gemeindebeschluß, Orts-
statut) geschaffen. Dieselbe bedeutet aber immer nur eine Rangfolge in der Heran-
ziehung der Pflichtigen, und diese Rangfolge hat nur dadurch soviel freien Spiel-
raum, daß nicht leicht die sämtlichen verfügbaren Wohnräume auf einmal in
Anspruch genommen werden. So kann z. B. nach dem Steuerfuße verteilt, oder
können die Hauseigentümer allein für pflichtig erklärt werden, so daß Mieter
frei ausgehen; V.G.H. 21. Juli 1884 (Samml. V S. 260); desgl. 22. Mai 1885
(Reger VII S. 72). Die gesetzliche Last ruht nach wie vor auf allen Wohnungs-
besitzern, und wenn einmal der beschränkende Verteilungsmaßstab nicht ausreicht,
wird er ohne weiteres durchbrochen, um auch das demnach Freibleibende in An-
spruch zu nehmen; Sickmann, Die Quartierleistung S. 38.
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[270/0282] Recht der besonderen Schuldverhältnisse. fähigkeit zum Maßstab genommen. Die anderen Verpflichtbarkeiten gelten dann erst, wenn die vorangestellten erschöpft sind 8. 2. Die Pflicht erhält eine bestimmtere Gestalt mit Eintritt der zweiten Voraussetzung, des Bedürfnisfalles. Der Bedürfnisfall kann sich ergeben aus einer amtlichen Maßregel. Er knüpft sich bei Gemeindelasten an den Beschluß, einen Weg zu bauen oder auszu- bessern, wofür Hand- und Spanndienste geschuldet sind, an die An- ordnung eines Gefangenentransportes, Einrichtung eines Nachtwache- dienstes, einer Pflichtfeuerwehr, welche einzuüben ist; bei Militärlasten an die Mobilmachung oder an den Beschluß der militärischen Be- hörden, Marschübungen, Truppendislokationen auszuführen, wozu die Naturalleistungen eines gewissen Bezirkes nötig werden; bei den Ge- richtslasten an die Anordnung eines Zeugenverhörs oder Sachver- ständigengutachtens. Der Bedürfnisfall kann aber auch unmittelbar hervorgehen aus natürlichen Ereignissen, aus dem Auftreten der Not, deren Bekämpfung zu den Aufgaben der öffentlichen Ver- waltung gehört, des Unglücksfalles, der ihre Hülfe erfordert. Durch den Eintritt des Bedürfnisfalles werden die entsprechenden Verpflichtbaren nicht schon verpflichtet zu leisten; sie werden dadurch zunächst nur im allgemeinen berufen, diesem Bedürfnis durch ihre Leistung abzuhelfen und stehen zur Verfügung, damit ihre in der Last begründete Pflicht der öffentlichen Verwaltung gegenüber durch einen einfachen Willensakt fertig gestellt werden könne. Diesen Willensakt, die letzte Voraussetzung für die Entstehung der Lastpflicht, bezeichnen wir als die Anforderung. Die An- forderung ist eine Mitteilung an einen vermöge der öffentlichen Last zur Leistung Berufenen über die bestimmte Leistung, die von ihm gemacht werden soll. Die rechtliche Bedeutung der Anforderung ist nicht die eines obrigkeitlichen Aktes, der auf Grund gesetzlicher Er- mächtigung die Leistung auferlegt. Die Pflicht entsteht durch den 8 Bei der Quartierlast z. B. wird die Ordnung unter den Pflichtigen dem Willen des Gesetzes gemäß durch die Gemeindebehörde (Gemeindebeschluß, Orts- statut) geschaffen. Dieselbe bedeutet aber immer nur eine Rangfolge in der Heran- ziehung der Pflichtigen, und diese Rangfolge hat nur dadurch soviel freien Spiel- raum, daß nicht leicht die sämtlichen verfügbaren Wohnräume auf einmal in Anspruch genommen werden. So kann z. B. nach dem Steuerfuße verteilt, oder können die Hauseigentümer allein für pflichtig erklärt werden, so daß Mieter frei ausgehen; V.G.H. 21. Juli 1884 (Samml. V S. 260); desgl. 22. Mai 1885 (Reger VII S. 72). Die gesetzliche Last ruht nach wie vor auf allen Wohnungs- besitzern, und wenn einmal der beschränkende Verteilungsmaßstab nicht ausreicht, wird er ohne weiteres durchbrochen, um auch das demnach Freibleibende in An- spruch zu nehmen; Sickmann, Die Quartierleistung S. 38.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/282>, abgerufen am 17.06.2024.