Wer in den Betrieb der öffentlichen Anstalt, in Schule, Kranken- haus, Postwagen, Schlachthaus u. s. w. eintritt, verliert, so lange er sich darin befindet, von selbst einen entsprechenden Teil seiner persön- lichen Freiheit. Er muß sich fügen in den geordneten Gang derselben, nicht wegen einer vertragsmäßigen Pflicht, die er zu diesem Ende übernommen hätte, sondern weil die Lebensthätigkeit der Anstalt, die ihn umgiebt, das rechtlich Stärkere ist. Er muß sich fügen mit seiner Person; die Gewaltanwendung der Anstaltsbediensteten steht überall dahinter, um jede willkürliche Bewegung zu unterdrücken. Es ist das Hausrecht der Anstalt, unter dem er sich befindet. In der gleichen Weise beschränkt sich das Eigentum an den Sachen, die in solchen Anstaltsbetrieb gegeben sind. Es kann nicht geltend gemacht werden, um diesen zu stören; die Poststücke gehen ihren Weg, die Kleider des Kranken, die Versatzstücke im Leihhaus folgen der anstaltlichen Behandlung, ob der Eigentümer will oder nicht; erst wenn die anstalt- liche Thätigkeit ordnungsmäßig zu Ende ist, wird sein Recht wieder frei. Der verfassungsmäßige Vorbehalt des Gesetzes zum Schutz von Freiheit und Eigentum weicht zurück, soweit dieses Hausrecht der öffentlichen Anstalt reicht.
Daraus ergiebt sich von selbst, daß ebensoweit über den Ein- zelnen, der in dieser Lage sich befindet, auch bindende Anordnungen ergehen können, die seine Freiheit und sein Eigentum berühren. Denn bindend für ihn ist die obrigkeitliche Willensäußerung von Natur; außerhalb solcher besonderen Verhältnisse, welche die Freiheit zurückdrängen, setzt nur der verfassungsmäßige Vorbehalt der voll- ziehenden Gewalt an dieser eine Grenze; sobald die, wie hier, wegfällt, werden ihre Anordnungen von selbst frei und wirksam, ohne Gesetz.
1. Die Grundlage des Gewaltverhältnisses bildet hier der that- sächliche Eintritt in den Betrieb der öffentlichen Anstalt. Das giebt einen Gegensatz zu dem Gewaltverhältnis der öffentlichen Dienst- pflicht (oben § 45), welches nur begründet wird durch Rechtsakte, sei es einseitige Auferlegung der Dienstpflicht, sei es Ernennung oder Anstellung auf Unterwerfung. Dafür ist die Verwandtschaft unver- kennbar mit gewissen Gewaltverhältnissen der besonderen Überwachung im Finanzrecht, mit denjenigen nämlich, wo das Gewaltverhältnis sich begründet durch den Eintritt in den thatsächlichen Machtkreis der
durch den "Eintritt in eine höhere Lehranstalt" und ebenso durch den "Eintritt in eine öffentliche Heilanstalt (Spital, Gebärhaus), der oft mit weitgehenden Be- schränkungen der persönlichen Freiheit verbunden ist". Das sind natürlich nur zusammenhangslose Beispiele.
Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
Wer in den Betrieb der öffentlichen Anstalt, in Schule, Kranken- haus, Postwagen, Schlachthaus u. s. w. eintritt, verliert, so lange er sich darin befindet, von selbst einen entsprechenden Teil seiner persön- lichen Freiheit. Er muß sich fügen in den geordneten Gang derselben, nicht wegen einer vertragsmäßigen Pflicht, die er zu diesem Ende übernommen hätte, sondern weil die Lebensthätigkeit der Anstalt, die ihn umgiebt, das rechtlich Stärkere ist. Er muß sich fügen mit seiner Person; die Gewaltanwendung der Anstaltsbediensteten steht überall dahinter, um jede willkürliche Bewegung zu unterdrücken. Es ist das Hausrecht der Anstalt, unter dem er sich befindet. In der gleichen Weise beschränkt sich das Eigentum an den Sachen, die in solchen Anstaltsbetrieb gegeben sind. Es kann nicht geltend gemacht werden, um diesen zu stören; die Poststücke gehen ihren Weg, die Kleider des Kranken, die Versatzstücke im Leihhaus folgen der anstaltlichen Behandlung, ob der Eigentümer will oder nicht; erst wenn die anstalt- liche Thätigkeit ordnungsmäßig zu Ende ist, wird sein Recht wieder frei. Der verfassungsmäßige Vorbehalt des Gesetzes zum Schutz von Freiheit und Eigentum weicht zurück, soweit dieses Hausrecht der öffentlichen Anstalt reicht.
Daraus ergiebt sich von selbst, daß ebensoweit über den Ein- zelnen, der in dieser Lage sich befindet, auch bindende Anordnungen ergehen können, die seine Freiheit und sein Eigentum berühren. Denn bindend für ihn ist die obrigkeitliche Willensäußerung von Natur; außerhalb solcher besonderen Verhältnisse, welche die Freiheit zurückdrängen, setzt nur der verfassungsmäßige Vorbehalt der voll- ziehenden Gewalt an dieser eine Grenze; sobald die, wie hier, wegfällt, werden ihre Anordnungen von selbst frei und wirksam, ohne Gesetz.
1. Die Grundlage des Gewaltverhältnisses bildet hier der that- sächliche Eintritt in den Betrieb der öffentlichen Anstalt. Das giebt einen Gegensatz zu dem Gewaltverhältnis der öffentlichen Dienst- pflicht (oben § 45), welches nur begründet wird durch Rechtsakte, sei es einseitige Auferlegung der Dienstpflicht, sei es Ernennung oder Anstellung auf Unterwerfung. Dafür ist die Verwandtschaft unver- kennbar mit gewissen Gewaltverhältnissen der besonderen Überwachung im Finanzrecht, mit denjenigen nämlich, wo das Gewaltverhältnis sich begründet durch den Eintritt in den thatsächlichen Machtkreis der
durch den „Eintritt in eine höhere Lehranstalt“ und ebenso durch den „Eintritt in eine öffentliche Heilanstalt (Spital, Gebärhaus), der oft mit weitgehenden Be- schränkungen der persönlichen Freiheit verbunden ist“. Das sind natürlich nur zusammenhangslose Beispiele.
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Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
Wer in den Betrieb der öffentlichen Anstalt, in Schule, Kranken-
haus, Postwagen, Schlachthaus u. s. w. eintritt, verliert, so lange er
sich darin befindet, von selbst einen entsprechenden Teil seiner persön-
lichen Freiheit. Er muß sich fügen in den geordneten Gang derselben,
nicht wegen einer vertragsmäßigen Pflicht, die er zu diesem Ende
übernommen hätte, sondern weil die Lebensthätigkeit der Anstalt, die
ihn umgiebt, das rechtlich Stärkere ist. Er muß sich fügen mit seiner
Person; die Gewaltanwendung der Anstaltsbediensteten steht überall
dahinter, um jede willkürliche Bewegung zu unterdrücken. Es ist das
Hausrecht der Anstalt, unter dem er sich befindet. In der gleichen
Weise beschränkt sich das Eigentum an den Sachen, die in solchen
Anstaltsbetrieb gegeben sind. Es kann nicht geltend gemacht werden,
um diesen zu stören; die Poststücke gehen ihren Weg, die Kleider
des Kranken, die Versatzstücke im Leihhaus folgen der anstaltlichen
Behandlung, ob der Eigentümer will oder nicht; erst wenn die anstalt-
liche Thätigkeit ordnungsmäßig zu Ende ist, wird sein Recht wieder
frei. Der verfassungsmäßige Vorbehalt des Gesetzes zum Schutz von
Freiheit und Eigentum weicht zurück, soweit dieses Hausrecht der
öffentlichen Anstalt reicht.
Daraus ergiebt sich von selbst, daß ebensoweit über den Ein-
zelnen, der in dieser Lage sich befindet, auch bindende Anordnungen
ergehen können, die seine Freiheit und sein Eigentum berühren.
Denn bindend für ihn ist die obrigkeitliche Willensäußerung von
Natur; außerhalb solcher besonderen Verhältnisse, welche die Freiheit
zurückdrängen, setzt nur der verfassungsmäßige Vorbehalt der voll-
ziehenden Gewalt an dieser eine Grenze; sobald die, wie hier, wegfällt,
werden ihre Anordnungen von selbst frei und wirksam, ohne Gesetz.
1. Die Grundlage des Gewaltverhältnisses bildet hier der that-
sächliche Eintritt in den Betrieb der öffentlichen Anstalt. Das
giebt einen Gegensatz zu dem Gewaltverhältnis der öffentlichen Dienst-
pflicht (oben § 45), welches nur begründet wird durch Rechtsakte,
sei es einseitige Auferlegung der Dienstpflicht, sei es Ernennung oder
Anstellung auf Unterwerfung. Dafür ist die Verwandtschaft unver-
kennbar mit gewissen Gewaltverhältnissen der besonderen Überwachung
im Finanzrecht, mit denjenigen nämlich, wo das Gewaltverhältnis sich
begründet durch den Eintritt in den thatsächlichen Machtkreis der
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4 durch den „Eintritt in eine höhere Lehranstalt“ und ebenso durch den „Eintritt
in eine öffentliche Heilanstalt (Spital, Gebärhaus), der oft mit weitgehenden Be-
schränkungen der persönlichen Freiheit verbunden ist“. Das sind natürlich nur
zusammenhangslose Beispiele.
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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