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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht.

III. Zweierlei Arten von besonderen Opfern, die der Staat auf-
erlegt, werden überhaupt nicht vergütet; das sind die Justizschäden
und die Kriegsschäden.

1. Die Handhabung der Civilrechtspflege und noch mehr
die der Strafrechtspflege ist imstande, dem Einzelnen die
schwersten Nachteile zu bereiten. Das soll nur geschehen, sofern er's
verdient hat, also gerechterweise. Aber die Justiz kann fehl gehen,
ungerecht treffen; der Justizmord ist das äußerste Beispiel dafür.
Da liegt dann ein besonderes Opfer vor, das der Staat zumutet. Die
Voraussetzungen für die öffentlichrechtliche Entschädigung sind ge-
geben. Gleichwohl findet der allgemeine Rechtssatz, der diese ge-
währt, hier keine Anwendung; es entsteht keine Entschädigungspflicht,
das ist geltenden Rechtes10.

Der Grund liegt nicht darin, wie man wohl behauptet, daß
die Gerichte formelles Recht schaffen; denn die Verweigerung der
Entschädigung greift auch Platz, wenn die Maßregel, welche den
Schaden gestiftet hat, im geordneten Gang der Gerichte hinterdrein
wieder beseitigt und für ungültig erkannt worden ist. Er liegt auch
nicht in der Unabhängigkeit der Gerichte. Denn die Gerichte sind
deshalb doch nichts anderes als der handelnde Staat. Sie sind un-
abhängig vom Ministerium, von der Regierung. Aber das ist auch
das Einzelgesetz, und doch werden die Nachteile, die dieses zufügt,
gegebenen Falles in Anwendung des allgemeinen Grundsatzes ver-
gütet11.

In Wahrheit läßt sich die Erscheinung nur erklären aus einem
gewissen Optimismus, mit welchem hergebrachter Weise die Gerichte
betrachtet werden. Wenn wir einen Anspruch auf Entschädigung ge-
währen wegen Fehlgehens der staatlichen Einrichtungen, so liegt darin
eine Anerkennung der menschlichen Schwäche, die trotz allem diesen

10 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363 ff.; Zachariae in Ztschft. f. Stsw.
1863 S. 637 ff.; Loening, Haftung des Staates S. 124 ff. In der Bewegung für
die Entschädigung unschuldig Verurteilter, die in neuerer Zeit so mächtig ge-
worden ist, wird gern auf die Analogie der Enteignung hingewiesen: Kron-
ecker,
Die Entsch. unschuld. Verhafteter S. 17; Verh. des 16. Jur.Tags II S. 241 ff.,
S. 345 ff., insbes. S. 265 (Jaques). Auch die Berufung auf ein neueres "objektives
Schadensersatzprincip" und auf die "Stimme der Humanität" (Verh. des 22. Jur.-
Tags I S. 530 ff.) berührt sich mit den Grundgedanken unseres Rechtsinstituts.
Daß dieses eigentlich zuträfe und ihm gegenüber eine Ausnahme vorliegt, giebt
jener Bewegung eine eigentümliche Kraft, wenn auch ihre Vertreter sich dessen
nicht immer klar bewußt sind.
11 Über diese Argumente Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363; Sundheim,
Schadensstiftung durch Staatsbeamte § 12; Loening, Haftung des Staates S. 98.
§ 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht.

III. Zweierlei Arten von besonderen Opfern, die der Staat auf-
erlegt, werden überhaupt nicht vergütet; das sind die Justizschäden
und die Kriegsschäden.

1. Die Handhabung der Civilrechtspflege und noch mehr
die der Strafrechtspflege ist imstande, dem Einzelnen die
schwersten Nachteile zu bereiten. Das soll nur geschehen, sofern er’s
verdient hat, also gerechterweise. Aber die Justiz kann fehl gehen,
ungerecht treffen; der Justizmord ist das äußerste Beispiel dafür.
Da liegt dann ein besonderes Opfer vor, das der Staat zumutet. Die
Voraussetzungen für die öffentlichrechtliche Entschädigung sind ge-
geben. Gleichwohl findet der allgemeine Rechtssatz, der diese ge-
währt, hier keine Anwendung; es entsteht keine Entschädigungspflicht,
das ist geltenden Rechtes10.

Der Grund liegt nicht darin, wie man wohl behauptet, daß
die Gerichte formelles Recht schaffen; denn die Verweigerung der
Entschädigung greift auch Platz, wenn die Maßregel, welche den
Schaden gestiftet hat, im geordneten Gang der Gerichte hinterdrein
wieder beseitigt und für ungültig erkannt worden ist. Er liegt auch
nicht in der Unabhängigkeit der Gerichte. Denn die Gerichte sind
deshalb doch nichts anderes als der handelnde Staat. Sie sind un-
abhängig vom Ministerium, von der Regierung. Aber das ist auch
das Einzelgesetz, und doch werden die Nachteile, die dieses zufügt,
gegebenen Falles in Anwendung des allgemeinen Grundsatzes ver-
gütet11.

In Wahrheit läßt sich die Erscheinung nur erklären aus einem
gewissen Optimismus, mit welchem hergebrachter Weise die Gerichte
betrachtet werden. Wenn wir einen Anspruch auf Entschädigung ge-
währen wegen Fehlgehens der staatlichen Einrichtungen, so liegt darin
eine Anerkennung der menschlichen Schwäche, die trotz allem diesen

10 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363 ff.; Zachariae in Ztschft. f. Stsw.
1863 S. 637 ff.; Loening, Haftung des Staates S. 124 ff. In der Bewegung für
die Entschädigung unschuldig Verurteilter, die in neuerer Zeit so mächtig ge-
worden ist, wird gern auf die Analogie der Enteignung hingewiesen: Kron-
ecker,
Die Entsch. unschuld. Verhafteter S. 17; Verh. des 16. Jur.Tags II S. 241 ff.,
S. 345 ff., insbes. S. 265 (Jaques). Auch die Berufung auf ein neueres „objektives
Schadensersatzprincip“ und auf die „Stimme der Humanität“ (Verh. des 22. Jur.-
Tags I S. 530 ff.) berührt sich mit den Grundgedanken unseres Rechtsinstituts.
Daß dieses eigentlich zuträfe und ihm gegenüber eine Ausnahme vorliegt, giebt
jener Bewegung eine eigentümliche Kraft, wenn auch ihre Vertreter sich dessen
nicht immer klar bewußt sind.
11 Über diese Argumente Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363; Sundheim,
Schadensstiftung durch Staatsbeamte § 12; Loening, Haftung des Staates S. 98.
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[363/0375] § 54. Grenzgebiete der staatlichen Entschädigungspflicht. III. Zweierlei Arten von besonderen Opfern, die der Staat auf- erlegt, werden überhaupt nicht vergütet; das sind die Justizschäden und die Kriegsschäden. 1. Die Handhabung der Civilrechtspflege und noch mehr die der Strafrechtspflege ist imstande, dem Einzelnen die schwersten Nachteile zu bereiten. Das soll nur geschehen, sofern er’s verdient hat, also gerechterweise. Aber die Justiz kann fehl gehen, ungerecht treffen; der Justizmord ist das äußerste Beispiel dafür. Da liegt dann ein besonderes Opfer vor, das der Staat zumutet. Die Voraussetzungen für die öffentlichrechtliche Entschädigung sind ge- geben. Gleichwohl findet der allgemeine Rechtssatz, der diese ge- währt, hier keine Anwendung; es entsteht keine Entschädigungspflicht, das ist geltenden Rechtes 10. Der Grund liegt nicht darin, wie man wohl behauptet, daß die Gerichte formelles Recht schaffen; denn die Verweigerung der Entschädigung greift auch Platz, wenn die Maßregel, welche den Schaden gestiftet hat, im geordneten Gang der Gerichte hinterdrein wieder beseitigt und für ungültig erkannt worden ist. Er liegt auch nicht in der Unabhängigkeit der Gerichte. Denn die Gerichte sind deshalb doch nichts anderes als der handelnde Staat. Sie sind un- abhängig vom Ministerium, von der Regierung. Aber das ist auch das Einzelgesetz, und doch werden die Nachteile, die dieses zufügt, gegebenen Falles in Anwendung des allgemeinen Grundsatzes ver- gütet 11. In Wahrheit läßt sich die Erscheinung nur erklären aus einem gewissen Optimismus, mit welchem hergebrachter Weise die Gerichte betrachtet werden. Wenn wir einen Anspruch auf Entschädigung ge- währen wegen Fehlgehens der staatlichen Einrichtungen, so liegt darin eine Anerkennung der menschlichen Schwäche, die trotz allem diesen 10 Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363 ff.; Zachariae in Ztschft. f. Stsw. 1863 S. 637 ff.; Loening, Haftung des Staates S. 124 ff. In der Bewegung für die Entschädigung unschuldig Verurteilter, die in neuerer Zeit so mächtig ge- worden ist, wird gern auf die Analogie der Enteignung hingewiesen: Kron- ecker, Die Entsch. unschuld. Verhafteter S. 17; Verh. des 16. Jur.Tags II S. 241 ff., S. 345 ff., insbes. S. 265 (Jaques). Auch die Berufung auf ein neueres „objektives Schadensersatzprincip“ und auf die „Stimme der Humanität“ (Verh. des 22. Jur.- Tags I S. 530 ff.) berührt sich mit den Grundgedanken unseres Rechtsinstituts. Daß dieses eigentlich zuträfe und ihm gegenüber eine Ausnahme vorliegt, giebt jener Bewegung eine eigentümliche Kraft, wenn auch ihre Vertreter sich dessen nicht immer klar bewußt sind. 11 Über diese Argumente Pfeiffer, Prakt. Ausf. II S. 363; Sundheim, Schadensstiftung durch Staatsbeamte § 12; Loening, Haftung des Staates S. 98.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/375>, abgerufen am 22.11.2024.