Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
werden, aber auch dann ist es eine Gebrauchserlaubnis und kein usus
publicus (unten § 38, I)25.

Wir haben dem an die Seite zu stellen die Kirchengebäude
der anerkannten Religionsgesellschaften; sie sind öffentliches Eigen-
tum der Religionsgesellschaft oder des Staates oder der politischen
Gemeinde. -- Damit hat es aber seine besondere Bewandtnis.

Das kanonische Recht hat für diese Gebäude als heilige
Sachen eine besondere Rechtsstellung geschaffen. Der Staat, indem
er seine selbständige Rechtsordnung ausbildet, kann ein derartiges
heiliges Recht nicht einfach übernehmen; das giebt es bei ihm nicht.
Er kommt aber der Kirche entgegen, indem er möglichst in seinen
eigenen Formen zum Ausdruck bringt, was dem Erfolg nach damit
gewollt ist: dazu dient in weiterem Umfang die besondere Befriedung
solcher Sachen durch verstärkten Strafschutz; für Kirchengebäude aber
insbesondere noch ihre Anerkennung als öffentliche Sachen.

Diese Anerkennung ist teilweise durch ausdrückliche Gesetzes-
bestimmung erfolgt, sie besteht aber auch ohne solche aß geltendes
Recht. Die Vermittlung wird man vergeblich suchen in einem usus
publicus, dem die Kirchengebäude unterliegen. Sie stehen ja in ge-
wissem Maße dem freien Zutritt offen. Aber das ist auch beim

25 Jhering, um seine Auffassung vom öffentlichen Eigentum zu halten, muß
natürlich auch an den Festungswerken so etwas wie einen usus publicus zu retten
suchen. Er thut das in etwas schüchterner Weise, indem er (Verm. Schriften
S. 152) die Festungswerke bezeichnet als "Schutzanstalten, welche nicht dem Staat,
sondern den Individuen zu gute kommen". Das ist aber erstens nicht wahr, und
zweitens, wenn es wahr wäre, gäbe es doch keinen usus publicus. -- Die Schwierig-
keit, welche die Festungswerke der Lehre von der ausschließlichen Bedeutung des
Gemeingebrauchs für das öffentliche Eigentum bieten, wird übrigens von den An-
hängern dieser Lehre fast immer durch solche verschwommene Redensarten um-
gangen. So z. B. auch Wappäus a. a. O. S. 107: Die Festungswerke sind öffent-
liche Sachen, weil sie "als Schutzmittel gegen äußere Feinde mittelbar dem öffent-
lichen Nutzen dienstbar sind". Das Kennzeichen der öffentlichen Sache hatte er
eben erst ein für alle Mal festgestellt als die "Bestimmung zum öffentlichen all-
gemeinen bestimmungsmäßigen Gebrauch aller Staats- resp. Gemeindeangehörigen,
dann aber auch aller Fremden" (S. 106). Namentlich der bestimmungsgemäße
Gebrauch der Festungswerke durch "alle Fremden" möchte sich gut ausnehmen.
-- Kappeler, Öff. Wasserlauf S. 41, meint: Festungswerke müßten zu den res
publicae s. s. gehören; "denn in hohem Grade dienen gerade sie, wenn nicht der
öffentlichen Benutzung, so doch dem öffentlichen Nutzen". Vorher hatte auch er
die res publicae s. s. abgegrenzt als "nur diejenigen Sachen, welche dem usus
publicus, d. h. dem öffentlichen Gebrauch, besonders der Staatsangehörigen dienen"
(S. 2); jetzt wird dieses entscheidende Merkmal mit einem harmlosen "wenn nicht"
bei Seite geschoben.

§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.
werden, aber auch dann ist es eine Gebrauchserlaubnis und kein usus
publicus (unten § 38, I)25.

Wir haben dem an die Seite zu stellen die Kirchengebäude
der anerkannten Religionsgesellschaften; sie sind öffentliches Eigen-
tum der Religionsgesellschaft oder des Staates oder der politischen
Gemeinde. — Damit hat es aber seine besondere Bewandtnis.

Das kanonische Recht hat für diese Gebäude als heilige
Sachen eine besondere Rechtsstellung geschaffen. Der Staat, indem
er seine selbständige Rechtsordnung ausbildet, kann ein derartiges
heiliges Recht nicht einfach übernehmen; das giebt es bei ihm nicht.
Er kommt aber der Kirche entgegen, indem er möglichst in seinen
eigenen Formen zum Ausdruck bringt, was dem Erfolg nach damit
gewollt ist: dazu dient in weiterem Umfang die besondere Befriedung
solcher Sachen durch verstärkten Strafschutz; für Kirchengebäude aber
insbesondere noch ihre Anerkennung als öffentliche Sachen.

Diese Anerkennung ist teilweise durch ausdrückliche Gesetzes-
bestimmung erfolgt, sie besteht aber auch ohne solche aß geltendes
Recht. Die Vermittlung wird man vergeblich suchen in einem usus
publicus, dem die Kirchengebäude unterliegen. Sie stehen ja in ge-
wissem Maße dem freien Zutritt offen. Aber das ist auch beim

25 Jhering, um seine Auffassung vom öffentlichen Eigentum zu halten, muß
natürlich auch an den Festungswerken so etwas wie einen usus publicus zu retten
suchen. Er thut das in etwas schüchterner Weise, indem er (Verm. Schriften
S. 152) die Festungswerke bezeichnet als „Schutzanstalten, welche nicht dem Staat,
sondern den Individuen zu gute kommen“. Das ist aber erstens nicht wahr, und
zweitens, wenn es wahr wäre, gäbe es doch keinen usus publicus. — Die Schwierig-
keit, welche die Festungswerke der Lehre von der ausschließlichen Bedeutung des
Gemeingebrauchs für das öffentliche Eigentum bieten, wird übrigens von den An-
hängern dieser Lehre fast immer durch solche verschwommene Redensarten um-
gangen. So z. B. auch Wappäus a. a. O. S. 107: Die Festungswerke sind öffent-
liche Sachen, weil sie „als Schutzmittel gegen äußere Feinde mittelbar dem öffent-
lichen Nutzen dienstbar sind“. Das Kennzeichen der öffentlichen Sache hatte er
eben erst ein für alle Mal festgestellt als die „Bestimmung zum öffentlichen all-
gemeinen bestimmungsmäßigen Gebrauch aller Staats- resp. Gemeindeangehörigen,
dann aber auch aller Fremden“ (S. 106). Namentlich der bestimmungsgemäße
Gebrauch der Festungswerke durch „alle Fremden“ möchte sich gut ausnehmen.
Kappeler, Öff. Wasserlauf S. 41, meint: Festungswerke müßten zu den res
publicae s. s. gehören; „denn in hohem Grade dienen gerade sie, wenn nicht der
öffentlichen Benutzung, so doch dem öffentlichen Nutzen“. Vorher hatte auch er
die res publicae s. s. abgegrenzt als „nur diejenigen Sachen, welche dem usus
publicus, d. h. dem öffentlichen Gebrauch, besonders der Staatsangehörigen dienen“
(S. 2); jetzt wird dieses entscheidende Merkmal mit einem harmlosen „wenn nicht“
bei Seite geschoben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0091" n="79"/><fw place="top" type="header">§ 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums.</fw><lb/>
werden, aber auch dann ist es eine Gebrauchserlaubnis und kein usus<lb/>
publicus (unten § 38, I)<note place="foot" n="25"><hi rendition="#g">Jhering,</hi> um seine Auffassung vom öffentlichen Eigentum zu halten, muß<lb/>
natürlich auch an den Festungswerken so etwas wie einen usus publicus zu retten<lb/>
suchen. Er thut das in etwas schüchterner Weise, indem er (Verm. Schriften<lb/>
S. 152) die Festungswerke bezeichnet als &#x201E;Schutzanstalten, welche nicht dem Staat,<lb/>
sondern den Individuen zu gute kommen&#x201C;. Das ist aber erstens nicht wahr, und<lb/>
zweitens, wenn es wahr wäre, gäbe es doch keinen usus publicus. &#x2014; Die Schwierig-<lb/>
keit, welche die Festungswerke der Lehre von der ausschließlichen Bedeutung des<lb/>
Gemeingebrauchs für das öffentliche Eigentum bieten, wird übrigens von den An-<lb/>
hängern dieser Lehre fast immer durch solche verschwommene Redensarten um-<lb/>
gangen. So z. B. auch <hi rendition="#g">Wappäus</hi> a. a. O. S. 107: Die Festungswerke sind öffent-<lb/>
liche Sachen, weil sie &#x201E;als Schutzmittel gegen äußere Feinde mittelbar dem öffent-<lb/>
lichen Nutzen dienstbar sind&#x201C;. Das Kennzeichen der öffentlichen Sache hatte er<lb/>
eben erst ein für alle Mal festgestellt als die &#x201E;Bestimmung zum öffentlichen all-<lb/>
gemeinen bestimmungsmäßigen Gebrauch aller Staats- resp. Gemeindeangehörigen,<lb/>
dann aber auch aller Fremden&#x201C; (S. 106). Namentlich der bestimmungsgemäße<lb/>
Gebrauch der Festungswerke durch &#x201E;alle Fremden&#x201C; möchte sich gut ausnehmen.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">Kappeler,</hi> Öff. Wasserlauf S. 41, meint: Festungswerke müßten zu den res<lb/>
publicae s. s. gehören; &#x201E;denn in hohem Grade dienen gerade sie, wenn nicht der<lb/>
öffentlichen Benutzung, so doch dem öffentlichen Nutzen&#x201C;. Vorher hatte auch er<lb/>
die res publicae s. s. abgegrenzt als &#x201E;<hi rendition="#g">nur</hi> diejenigen Sachen, welche dem usus<lb/>
publicus, d. h. dem öffentlichen Gebrauch, besonders der Staatsangehörigen dienen&#x201C;<lb/>
(S. 2); jetzt wird dieses entscheidende Merkmal mit einem harmlosen &#x201E;wenn nicht&#x201C;<lb/>
bei Seite geschoben.</note>.</p><lb/>
              <p>Wir haben dem an die Seite zu stellen die <hi rendition="#g">Kirchengebäude</hi><lb/>
der anerkannten Religionsgesellschaften; sie sind öffentliches Eigen-<lb/>
tum der Religionsgesellschaft oder des Staates oder der politischen<lb/>
Gemeinde. &#x2014; Damit hat es aber seine besondere Bewandtnis.</p><lb/>
              <p>Das kanonische Recht hat für diese Gebäude als <hi rendition="#g">heilige</hi><lb/>
Sachen eine besondere Rechtsstellung geschaffen. Der Staat, indem<lb/>
er seine selbständige Rechtsordnung ausbildet, kann ein derartiges<lb/>
heiliges Recht nicht einfach übernehmen; das giebt es bei ihm nicht.<lb/>
Er kommt aber der Kirche entgegen, indem er möglichst in seinen<lb/>
eigenen Formen zum Ausdruck bringt, was dem Erfolg nach damit<lb/>
gewollt ist: dazu dient in weiterem Umfang die besondere Befriedung<lb/>
solcher Sachen durch verstärkten Strafschutz; für Kirchengebäude aber<lb/>
insbesondere noch ihre Anerkennung als öffentliche Sachen.</p><lb/>
              <p>Diese Anerkennung ist teilweise durch ausdrückliche Gesetzes-<lb/>
bestimmung erfolgt, sie besteht aber auch ohne solche aß geltendes<lb/>
Recht. Die Vermittlung wird man vergeblich suchen in einem usus<lb/>
publicus, dem die Kirchengebäude unterliegen. Sie stehen ja in ge-<lb/>
wissem Maße dem freien Zutritt offen. Aber das ist auch beim<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0091] § 35. Begriff und Umfang des öffentlichen Eigentums. werden, aber auch dann ist es eine Gebrauchserlaubnis und kein usus publicus (unten § 38, I) 25. Wir haben dem an die Seite zu stellen die Kirchengebäude der anerkannten Religionsgesellschaften; sie sind öffentliches Eigen- tum der Religionsgesellschaft oder des Staates oder der politischen Gemeinde. — Damit hat es aber seine besondere Bewandtnis. Das kanonische Recht hat für diese Gebäude als heilige Sachen eine besondere Rechtsstellung geschaffen. Der Staat, indem er seine selbständige Rechtsordnung ausbildet, kann ein derartiges heiliges Recht nicht einfach übernehmen; das giebt es bei ihm nicht. Er kommt aber der Kirche entgegen, indem er möglichst in seinen eigenen Formen zum Ausdruck bringt, was dem Erfolg nach damit gewollt ist: dazu dient in weiterem Umfang die besondere Befriedung solcher Sachen durch verstärkten Strafschutz; für Kirchengebäude aber insbesondere noch ihre Anerkennung als öffentliche Sachen. Diese Anerkennung ist teilweise durch ausdrückliche Gesetzes- bestimmung erfolgt, sie besteht aber auch ohne solche aß geltendes Recht. Die Vermittlung wird man vergeblich suchen in einem usus publicus, dem die Kirchengebäude unterliegen. Sie stehen ja in ge- wissem Maße dem freien Zutritt offen. Aber das ist auch beim 25 Jhering, um seine Auffassung vom öffentlichen Eigentum zu halten, muß natürlich auch an den Festungswerken so etwas wie einen usus publicus zu retten suchen. Er thut das in etwas schüchterner Weise, indem er (Verm. Schriften S. 152) die Festungswerke bezeichnet als „Schutzanstalten, welche nicht dem Staat, sondern den Individuen zu gute kommen“. Das ist aber erstens nicht wahr, und zweitens, wenn es wahr wäre, gäbe es doch keinen usus publicus. — Die Schwierig- keit, welche die Festungswerke der Lehre von der ausschließlichen Bedeutung des Gemeingebrauchs für das öffentliche Eigentum bieten, wird übrigens von den An- hängern dieser Lehre fast immer durch solche verschwommene Redensarten um- gangen. So z. B. auch Wappäus a. a. O. S. 107: Die Festungswerke sind öffent- liche Sachen, weil sie „als Schutzmittel gegen äußere Feinde mittelbar dem öffent- lichen Nutzen dienstbar sind“. Das Kennzeichen der öffentlichen Sache hatte er eben erst ein für alle Mal festgestellt als die „Bestimmung zum öffentlichen all- gemeinen bestimmungsmäßigen Gebrauch aller Staats- resp. Gemeindeangehörigen, dann aber auch aller Fremden“ (S. 106). Namentlich der bestimmungsgemäße Gebrauch der Festungswerke durch „alle Fremden“ möchte sich gut ausnehmen. — Kappeler, Öff. Wasserlauf S. 41, meint: Festungswerke müßten zu den res publicae s. s. gehören; „denn in hohem Grade dienen gerade sie, wenn nicht der öffentlichen Benutzung, so doch dem öffentlichen Nutzen“. Vorher hatte auch er die res publicae s. s. abgegrenzt als „nur diejenigen Sachen, welche dem usus publicus, d. h. dem öffentlichen Gebrauch, besonders der Staatsangehörigen dienen“ (S. 2); jetzt wird dieses entscheidende Merkmal mit einem harmlosen „wenn nicht“ bei Seite geschoben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/91
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/91>, abgerufen am 21.11.2024.