Mehring, Franz: Kunst und Proletariat. Stuttgart, 1896.Die Neue Zeit. Zukunft in einem wundersam rosigen Schimmer. Das hat selbstverständlich mitirgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in der nüchternsten Weise die Chancen des Kampfes abschätzen: ein revolutionärer Kämpfer ist er doch nur, weil er die felsenfeste Ueberzeugung hat, daß er eine Welt umwälzen kann. In diesem Sinne ist jeder klassenbewußte Arbeiter ein Optimist: er sieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er schöpft diese Hoff¬ nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt. Dagegen ist die moderne Kunst tief pessimistisch. Sie kennt keinen Aus¬ Ebenso wenig hat sich jemals, so lange die Welt steht, eine revolutionäre Ein noch viel drastischeres Beispiel läßt sich aus den Verhandlungen des Die Neue Zeit. Zukunft in einem wunderſam roſigen Schimmer. Das hat ſelbſtverſtändlich mitirgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in der nüchternſten Weiſe die Chancen des Kampfes abſchätzen: ein revolutionärer Kämpfer iſt er doch nur, weil er die felſenfeſte Ueberzeugung hat, daß er eine Welt umwälzen kann. In dieſem Sinne iſt jeder klaſſenbewußte Arbeiter ein Optimiſt: er ſieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er ſchöpft dieſe Hoff¬ nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt. Dagegen iſt die moderne Kunſt tief peſſimiſtiſch. Sie kennt keinen Aus¬ Ebenſo wenig hat ſich jemals, ſo lange die Welt ſteht, eine revolutionäre Ein noch viel draſtiſcheres Beiſpiel läßt ſich aus den Verhandlungen des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="130"/><fw place="top" type="header">Die Neue Zeit.<lb/></fw> Zukunft in einem wunderſam roſigen Schimmer. Das hat ſelbſtverſtändlich mit<lb/> irgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in<lb/> der nüchternſten Weiſe die Chancen des Kampfes abſchätzen: ein revolutionärer<lb/> Kämpfer iſt er doch nur, weil er die felſenfeſte Ueberzeugung hat, daß er eine<lb/> Welt umwälzen kann. In dieſem Sinne iſt jeder klaſſenbewußte Arbeiter ein<lb/> Optimiſt: er ſieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er ſchöpft dieſe Hoff¬<lb/> nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt.</p><lb/> <p>Dagegen iſt die moderne Kunſt tief peſſimiſtiſch. Sie kennt keinen Aus¬<lb/> weg aus dem Elend, das ſie mit Vorliebe ſchildert. Sie entſpringt aus bürger¬<lb/> lichen Kreiſen und iſt der Reflex eines unaufhaltſamen Verfalls, der ſich in ihr<lb/> getreu genug widerſpiegelt. Sie iſt in ihrer Weiſe, und ſoweit ſie nicht bloße<lb/> Modenarrheit iſt, ehrlich und wahr; ſie ſteht hoch über die Lindau und Marlitt,<lb/> aber ſie iſt durchaus peſſimiſtiſch in dem Sinne, daß ſie im Elend der Gegen¬<lb/> wart nur das Elend ſieht. Was ihr vollſtändig fehlt, iſt jenes freudige Kampf¬<lb/> element, das dem klaſſenbewußten Proletariat das Leben des Lebens iſt. Wo<lb/> es einmal auftaucht oder aufzutauchen ſcheint, wie in Hauptmanns „Webern“,<lb/> da wird es ſofort aufs Feierlichſte verleugnet. Erſt vor acht Tagen wieder hat<lb/> Herr Hauptmann durch ſeinen Anwalt Grelling, wie früher ſchon oft, dem Ober¬<lb/> verwaltungsgericht die Verſicherung abgeben laſſen, er habe mit ſeinen „Webern“<lb/> nur eine ſentimentale Mitleidstragödie dichten wollen, und in ſeinem „Florian<lb/> Geyer“ hat er, um von vornherein alle unliebſamen Mißverſtändniſſe auszu¬<lb/> ſchließen, die aufſtändiſchen Bauern, die in ihrer Weiſe denſelben Kampf kämpften,<lb/> wie das moderne Proletariat, als eine Rotte hoffnungsloſer Trottel geſchildert.<lb/> Wir führen hier Hauptmann an, weil er auf dem Parteitag als der größte Ver¬<lb/> treter der modernen Kunſt genannt worden iſt. Wäre dem ſo, was wir an ſich<lb/> nicht beſtreiten wollen, ſo wäre damit auch geſagt, daß die moderne Kunſt keine<lb/> große Kunſt iſt. Denn eine große Kunſt hat noch nie, ſo lange die Welt ſteht,<lb/> vor irdiſchen <choice><sic>Tribunaleu</sic><corr>Tribunalen</corr></choice> auf mildernde Umſtände für ihr Daſein plädirt.</p><lb/> <p>Ebenſo wenig hat ſich jemals, ſo lange die Welt ſteht, eine revolutionäre<lb/> Klaſſe für eine Kunſt begeiſtert, die ihr Kleid mit advokatoriſcher Bürſte von<lb/> jedem revolutionären Fäſerchen reinigt. Das giebt es einfach nicht. Die<lb/> Ariſtarche der modernen Kunſt haben gemeint, die Arbeiter wollten wohl Marx<lb/> und Laſſalle dramatiſirt haben, indeſſen braucht das moderne Proletariat glück¬<lb/> licherweiſe nicht erſt von den Herren Brahm und Schlenther eine zweifelhafte<lb/> Aeſthetik zu lernen. Wie wenig ſeine Abneigung gegen die moderne Kunſt mit<lb/> einer unkünſtleriſchen Tendenz zu thun hat, beweiſt ſeine Begeiſterung für die<lb/> Klaſſiker, in denen es keine Spur ſeines Klaſſenbewußtſeins, aber wohl jenes<lb/> freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunſt vermißt. In der<lb/> Freien Volksbühne wurde einmal ein Drama eines jungen Anfängers aufgeführt,<lb/> das den proletariſchen Klaſſenkampf zu geſtalten verſuchte, aber künſtleriſch zu<lb/> wünſchen übrig ließ; es wurde eben nur aufgeführt, um — was auch zu den<lb/> Aufgaben dieſes Arbeitertheaters gehörte — ein hoffnungsvolles Talent zu fördern,<lb/> dem die bürgerlichen Bühnen verſchloſſen waren. Da zeigte ſich aber ſofort,<lb/> daß die Arbeiter weit entfernt davon ſind, über dem guten Willen die Kunſt<lb/> zu vernachläſſigen: das Stück brachte es nicht über den verdienten Achtungserfolg.</p><lb/> <p>Ein noch viel draſtiſcheres Beiſpiel läßt ſich aus den Verhandlungen des<lb/> Gothaer Parteitags anziehen. Es wurde dort geſagt, Hans Lands Roman „Der<lb/> neue Gott“, den die „Neue Welt“ veröffentlicht hat, ſei von den Arbeitern als<lb/> Verhöhnung ihres Klaſſenkampfes empfunden worden. Darauf erwiderte der<lb/> Redakteur, er habe im Gegentheil lange geſchwankt, ob er den Roman in die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [130/0016]
Die Neue Zeit.
Zukunft in einem wunderſam roſigen Schimmer. Das hat ſelbſtverſtändlich mit
irgend welchem Utopismus nichts zu thun. Der revolutionäre Kämpfer mag in
der nüchternſten Weiſe die Chancen des Kampfes abſchätzen: ein revolutionärer
Kämpfer iſt er doch nur, weil er die felſenfeſte Ueberzeugung hat, daß er eine
Welt umwälzen kann. In dieſem Sinne iſt jeder klaſſenbewußte Arbeiter ein
Optimiſt: er ſieht voll froher Hoffnung in die Zukunft, und er ſchöpft dieſe Hoff¬
nung gerade aus dem Elend, das ihn umgiebt.
Dagegen iſt die moderne Kunſt tief peſſimiſtiſch. Sie kennt keinen Aus¬
weg aus dem Elend, das ſie mit Vorliebe ſchildert. Sie entſpringt aus bürger¬
lichen Kreiſen und iſt der Reflex eines unaufhaltſamen Verfalls, der ſich in ihr
getreu genug widerſpiegelt. Sie iſt in ihrer Weiſe, und ſoweit ſie nicht bloße
Modenarrheit iſt, ehrlich und wahr; ſie ſteht hoch über die Lindau und Marlitt,
aber ſie iſt durchaus peſſimiſtiſch in dem Sinne, daß ſie im Elend der Gegen¬
wart nur das Elend ſieht. Was ihr vollſtändig fehlt, iſt jenes freudige Kampf¬
element, das dem klaſſenbewußten Proletariat das Leben des Lebens iſt. Wo
es einmal auftaucht oder aufzutauchen ſcheint, wie in Hauptmanns „Webern“,
da wird es ſofort aufs Feierlichſte verleugnet. Erſt vor acht Tagen wieder hat
Herr Hauptmann durch ſeinen Anwalt Grelling, wie früher ſchon oft, dem Ober¬
verwaltungsgericht die Verſicherung abgeben laſſen, er habe mit ſeinen „Webern“
nur eine ſentimentale Mitleidstragödie dichten wollen, und in ſeinem „Florian
Geyer“ hat er, um von vornherein alle unliebſamen Mißverſtändniſſe auszu¬
ſchließen, die aufſtändiſchen Bauern, die in ihrer Weiſe denſelben Kampf kämpften,
wie das moderne Proletariat, als eine Rotte hoffnungsloſer Trottel geſchildert.
Wir führen hier Hauptmann an, weil er auf dem Parteitag als der größte Ver¬
treter der modernen Kunſt genannt worden iſt. Wäre dem ſo, was wir an ſich
nicht beſtreiten wollen, ſo wäre damit auch geſagt, daß die moderne Kunſt keine
große Kunſt iſt. Denn eine große Kunſt hat noch nie, ſo lange die Welt ſteht,
vor irdiſchen Tribunalen auf mildernde Umſtände für ihr Daſein plädirt.
Ebenſo wenig hat ſich jemals, ſo lange die Welt ſteht, eine revolutionäre
Klaſſe für eine Kunſt begeiſtert, die ihr Kleid mit advokatoriſcher Bürſte von
jedem revolutionären Fäſerchen reinigt. Das giebt es einfach nicht. Die
Ariſtarche der modernen Kunſt haben gemeint, die Arbeiter wollten wohl Marx
und Laſſalle dramatiſirt haben, indeſſen braucht das moderne Proletariat glück¬
licherweiſe nicht erſt von den Herren Brahm und Schlenther eine zweifelhafte
Aeſthetik zu lernen. Wie wenig ſeine Abneigung gegen die moderne Kunſt mit
einer unkünſtleriſchen Tendenz zu thun hat, beweiſt ſeine Begeiſterung für die
Klaſſiker, in denen es keine Spur ſeines Klaſſenbewußtſeins, aber wohl jenes
freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunſt vermißt. In der
Freien Volksbühne wurde einmal ein Drama eines jungen Anfängers aufgeführt,
das den proletariſchen Klaſſenkampf zu geſtalten verſuchte, aber künſtleriſch zu
wünſchen übrig ließ; es wurde eben nur aufgeführt, um — was auch zu den
Aufgaben dieſes Arbeitertheaters gehörte — ein hoffnungsvolles Talent zu fördern,
dem die bürgerlichen Bühnen verſchloſſen waren. Da zeigte ſich aber ſofort,
daß die Arbeiter weit entfernt davon ſind, über dem guten Willen die Kunſt
zu vernachläſſigen: das Stück brachte es nicht über den verdienten Achtungserfolg.
Ein noch viel draſtiſcheres Beiſpiel läßt ſich aus den Verhandlungen des
Gothaer Parteitags anziehen. Es wurde dort geſagt, Hans Lands Roman „Der
neue Gott“, den die „Neue Welt“ veröffentlicht hat, ſei von den Arbeitern als
Verhöhnung ihres Klaſſenkampfes empfunden worden. Darauf erwiderte der
Redakteur, er habe im Gegentheil lange geſchwankt, ob er den Roman in die
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