Durch diesen Casus gewunnen wir, daß alles Volk sich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem gu¬ ten Musketenschuß hinter uns her trottirete, dieweil sie gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb Hülfe anriefe. Nur ein Bursche bei 25 Jahren so ich aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wa¬ gen, bis sein Vater kam und da er nit mit Gutem wei¬ chen wollte, ihn also in den Graben stieß, daß er bis an die Hüften ins Wasser versank. Hierüber mußte selbsten mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich, ob ich nicht mehr lateinische Lieder wüßte, umb uns das dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu halten. Aber, sage Lieber, wie hätte ich jetzunder la¬ teinische Lieder recitiren mügen, so ich sie auch gewußt! Doch mein Confrater Ehre Martinus wußte annoch ein solches, so zwar ein ketzerisches Lied ist; doch weil es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel, und er ihr manchen Versch an die drei und vier mal vorbeten mußte, bis sie ihn nachbeten kunnte, sagete ich Nichtes. Sonst bin ich immer sehr streng gegen Ketzereien gewest.
Grün die Wiesen, grün die Saaten, und von Honig rinnt der Bach, Das Aroma süßer Blumen haucht und duftet tausendfach. Blühnde Wälder tragen Aepfel deren Stengel nimmer bricht. Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechseln dorten mehr ihr Licht. Denn ihr Licht, das nimmer schwindet, ist des Lammes Angesicht.
Durch dieſen Casus gewunnen wir, daß alles Volk ſich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem gu¬ ten Musketenſchuß hinter uns her trottirete, dieweil ſie gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb Hülfe anriefe. Nur ein Burſche bei 25 Jahren ſo ich aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wa¬ gen, bis ſein Vater kam und da er nit mit Gutem wei¬ chen wollte, ihn alſo in den Graben ſtieß, daß er bis an die Hüften ins Waſſer verſank. Hierüber mußte ſelbſten mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich, ob ich nicht mehr lateiniſche Lieder wüßte, umb uns das dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu halten. Aber, ſage Lieber, wie hätte ich jetzunder la¬ teiniſche Lieder recitiren mügen, ſo ich ſie auch gewußt! Doch mein Confrater Ehre Martinus wußte annoch ein ſolches, ſo zwar ein ketzeriſches Lied iſt; doch weil es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel, und er ihr manchen Verſch an die drei und vier mal vorbeten mußte, bis ſie ihn nachbeten kunnte, ſagete ich Nichtes. Sonſt bin ich immer ſehr ſtreng gegen Ketzereien geweſt.
Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig rinnt der Bach, Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach. Blühnde Wälder tragen Aepfel deren Stengel nimmer bricht. Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten mehr ihr Licht. Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes Angeſicht.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0266"n="250"/><p>Durch dieſen <hirendition="#aq">Casus</hi> gewunnen wir, daß alles Volk<lb/>ſich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem gu¬<lb/>
ten Musketenſchuß hinter uns her trottirete, dieweil ſie<lb/>
gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb<lb/>
Hülfe anriefe. Nur ein Burſche bei 25 Jahren ſo ich<lb/>
aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wa¬<lb/>
gen, bis ſein Vater kam und da er nit mit Gutem wei¬<lb/>
chen wollte, ihn alſo in den Graben ſtieß, daß er bis<lb/>
an die Hüften ins Waſſer verſank. Hierüber mußte<lb/>ſelbſten mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich,<lb/>
ob ich nicht mehr lateiniſche Lieder wüßte, umb uns das<lb/>
dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu<lb/>
halten. Aber, ſage Lieber, wie hätte ich jetzunder la¬<lb/>
teiniſche Lieder recitiren mügen, ſo ich ſie auch gewußt!<lb/>
Doch mein <hirendition="#aq">Confrater</hi> Ehre Martinus wußte annoch<lb/>
ein ſolches, ſo zwar ein ketzeriſches Lied iſt; doch weil<lb/>
es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel, und er<lb/>
ihr manchen Verſch an die drei und vier mal vorbeten<lb/>
mußte, bis ſie ihn nachbeten kunnte, ſagete ich Nichtes.<lb/>
Sonſt bin ich immer ſehr ſtreng gegen Ketzereien geweſt.<lb/><notexml:id="note-0266"prev="#note-0265"place="foot"n="**)"><lgxml:id="lg-0266"prev="lg-0265"type="poem"><l>Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig<lb/><hirendition="#et">rinnt der Bach,</hi></l><lb/><l>Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach.</l><lb/><l>Blühnde Wälder tragen Aepfel deren Stengel nimmer<lb/><hirendition="#et">bricht.</hi></l><lb/><l>Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten<lb/><hirendition="#et">mehr ihr Licht.</hi></l><lb/><l>Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes<lb/><hirendition="#et">Angeſicht.</hi></l></lg></note></p></div></body></text></TEI>
[250/0266]
Durch dieſen Casus gewunnen wir, daß alles Volk
ſich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem gu¬
ten Musketenſchuß hinter uns her trottirete, dieweil ſie
gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb
Hülfe anriefe. Nur ein Burſche bei 25 Jahren ſo ich
aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wa¬
gen, bis ſein Vater kam und da er nit mit Gutem wei¬
chen wollte, ihn alſo in den Graben ſtieß, daß er bis
an die Hüften ins Waſſer verſank. Hierüber mußte
ſelbſten mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich,
ob ich nicht mehr lateiniſche Lieder wüßte, umb uns das
dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu
halten. Aber, ſage Lieber, wie hätte ich jetzunder la¬
teiniſche Lieder recitiren mügen, ſo ich ſie auch gewußt!
Doch mein Confrater Ehre Martinus wußte annoch
ein ſolches, ſo zwar ein ketzeriſches Lied iſt; doch weil
es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel, und er
ihr manchen Verſch an die drei und vier mal vorbeten
mußte, bis ſie ihn nachbeten kunnte, ſagete ich Nichtes.
Sonſt bin ich immer ſehr ſtreng gegen Ketzereien geweſt.
**)
**) Grün die Wieſen, grün die Saaten, und von Honig
rinnt der Bach,
Das Aroma ſüßer Blumen haucht und duftet tauſendfach.
Blühnde Wälder tragen Aepfel deren Stengel nimmer
bricht.
Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechſeln dorten
mehr ihr Licht.
Denn ihr Licht, das nimmer ſchwindet, iſt des Lammes
Angeſicht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/266>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.