Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.gewöhnlichen noch in der wissenschaftlich gereiften Erfahrung Hochinteressant ist das vielseitige Wissen, welches besonders gewöhnlichen noch in der wissenschaftlich gereiften Erfahrung Hochinteressant ist das vielseitige Wissen, welches besonders <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="7"/> gewöhnlichen noch in der wissenschaftlich gereiften Erfahrung<lb/><hi rendition="#g">das geringste</hi> entgegen.« (!) Des weiteren wird von dieser<lb/> gesetzmäßig zu begründen gesuchten sexuellen Anziehung<lb/> ausgesagt, daß sie fast »ausnahmslos eine gegenseitige ist«.<lb/> Und das stimmt erst recht nicht! Ein jeder fast strebt nach<lb/> einem andern als dem, der nach ihm strebt! »Ein Jüngling<lb/> liebte ein Mädchen – die hat einen anderen erwählt –<lb/> der andere liebt eine andere – und hat sich mit dieser<lb/> vermählt.« Eine uralte Geschichte, die ewig neu und wahr<lb/> bleibt. Und eine Vereinigung ist fast immer auf der einen<lb/> Seite ein Kompromiss – eine Art Resignation – und glückliche<lb/> Ausnahmen bestätigen nur diese Regel.<lb/></p> <p>Hochinteressant ist das vielseitige Wissen, welches besonders<lb/> aus den Disziplinen der Botanik und Mathematik<lb/> zur Unterstützung der eigenen Thesen herbeigeholt wird<lb/> und sich auf einem mit sicherer Hand konstruierten Geleise<lb/> den Zielen und Zwecken, denen es zu dienen bestimmt ist,<lb/> zubewegt: Ergebnisse einer eminenten, aber nichts weniger<lb/> als »voraussetzungslosen« Forschung. Solange sich <hi rendition="#g">Weininger</hi><lb/> in konstatierender Weise an das rein Wissenschaftliche<lb/> hält – sei es auch hypothetisch – imponiert der tiefgründige<lb/> Scharfsinn, mit dem besonders Analogien aus<lb/> Tier- und Pflanzenreich herbeigezogen werden, um irgend<lb/> eine Formel, wie eben das interessant, ja künstlerisch gedachte,<lb/> aber phantastische und unhaltbare Gesetz von der<lb/> Affinität der Geschlechter zwecks wechselseitigen Ausgleiches<lb/> von Potentialdifferenzen (nirgends ist die Natur zweckloser,<lb/> wüstlingshaft verschwenderischer als gerade in der Liebe!)<lb/> – zu illustrieren. Es fesselt und interessiert die dialektische<lb/> Gewandtheit, die Agilität des Geistes, die sofort in Zahlen und<lb/> Ziffern herauszubekommen sucht, – was sie schon als vorgezeugtes<lb/> Resultat bereithält und auf die der von Weininger<lb/> selbst zitierte Kantsche Ausspruch von der »Eitelkeit auf das<lb/> mathematische Gepränge« recht gut zu passen scheint.<lb/></p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0013]
gewöhnlichen noch in der wissenschaftlich gereiften Erfahrung
das geringste entgegen.« (!) Des weiteren wird von dieser
gesetzmäßig zu begründen gesuchten sexuellen Anziehung
ausgesagt, daß sie fast »ausnahmslos eine gegenseitige ist«.
Und das stimmt erst recht nicht! Ein jeder fast strebt nach
einem andern als dem, der nach ihm strebt! »Ein Jüngling
liebte ein Mädchen – die hat einen anderen erwählt –
der andere liebt eine andere – und hat sich mit dieser
vermählt.« Eine uralte Geschichte, die ewig neu und wahr
bleibt. Und eine Vereinigung ist fast immer auf der einen
Seite ein Kompromiss – eine Art Resignation – und glückliche
Ausnahmen bestätigen nur diese Regel.
Hochinteressant ist das vielseitige Wissen, welches besonders
aus den Disziplinen der Botanik und Mathematik
zur Unterstützung der eigenen Thesen herbeigeholt wird
und sich auf einem mit sicherer Hand konstruierten Geleise
den Zielen und Zwecken, denen es zu dienen bestimmt ist,
zubewegt: Ergebnisse einer eminenten, aber nichts weniger
als »voraussetzungslosen« Forschung. Solange sich Weininger
in konstatierender Weise an das rein Wissenschaftliche
hält – sei es auch hypothetisch – imponiert der tiefgründige
Scharfsinn, mit dem besonders Analogien aus
Tier- und Pflanzenreich herbeigezogen werden, um irgend
eine Formel, wie eben das interessant, ja künstlerisch gedachte,
aber phantastische und unhaltbare Gesetz von der
Affinität der Geschlechter zwecks wechselseitigen Ausgleiches
von Potentialdifferenzen (nirgends ist die Natur zweckloser,
wüstlingshaft verschwenderischer als gerade in der Liebe!)
– zu illustrieren. Es fesselt und interessiert die dialektische
Gewandtheit, die Agilität des Geistes, die sofort in Zahlen und
Ziffern herauszubekommen sucht, – was sie schon als vorgezeugtes
Resultat bereithält und auf die der von Weininger
selbst zitierte Kantsche Ausspruch von der »Eitelkeit auf das
mathematische Gepränge« recht gut zu passen scheint.
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