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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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gepflegt wird, auch "ein Merkmal des hervorragenden
Menschen".

Aber nein: denn dem Weibe geht die Pietät ab, was
schon aus dem Beispiel der - Witwen zu ersehen sei, mit
deren Pietät für den heimgegangenen Gatten es so schlecht
steht, daß die Frevlerinnen manchmal sogar einen zweiten
nehmen.

Daß sich die indischen Witwen pietätvoll verbrennen
ließen, um an Stelle des im Tode vorausgegangenen Gatten
rücksichtsvoll die dunkle, schwere Pforte, die sich nach
indischer Vorstellung dröhnend hinter dem vom Leben Geschiedenen
schließt, aufzufangen, beweist also wohl ihre
"Vermännlichung" (denn das ist identisch mit Höherstehung)
gegenüber den vom Geiste frecher Aufklärung erfüllten
Europäerinnen?! Warum eine besondere Pietät der
Witwen für ihren verstorbenen Gatten zu verlangen sein
sollte, wenn nicht auch bei seinen Lebzeiten ein inniges
Verhältnis zwischen den Eheleuten herrschte, ist nicht recht
ersichtlich. War dies aber der Fall, so bleibt auch eine
treue, warme, schmerzliche Erinnerung, ja nicht selten ein
nie wieder zu bannendes Leid und oft eine fanatische Hingabe
an den Toten zurück, wofür Sage und Geschichte genügende
Beispiele liefern. Von "edlen Frauen", die die
Witwenhaube nie wieder ablegten, wird uns schon im Lesebuche
erzählt, aber vom trostlosen Witwer ist noch nichts
vermeldet worden. Wie steht's denn mit seiner Pietät?

Aus Pietät für das Vergangene, Vergehende erkläre
sich auch das Unsterblichkeitsbedürfnis, welches angeblich
den Frauen "völlig abgeht". Im Gegenteil, die meisten
haben es. Aber das Unsterblichkeitsbedürfnis, ja selbst
die Erklärung des (leicht begreiflichen) Wunsches nach
psychischer Unsterblichkeit, die Weininger zutreffend in
Gefühlsgründen findet, können noch nicht den Glauben
an ein individuelles Fortleben nach dem Tode demjenigen

gepflegt wird, auch »ein Merkmal des hervorragenden
Menschen«.

Aber nein: denn dem Weibe geht die Pietät ab, was
schon aus dem Beispiel der – Witwen zu ersehen sei, mit
deren Pietät für den heimgegangenen Gatten es so schlecht
steht, daß die Frevlerinnen manchmal sogar einen zweiten
nehmen.

Daß sich die indischen Witwen pietätvoll verbrennen
ließen, um an Stelle des im Tode vorausgegangenen Gatten
rücksichtsvoll die dunkle, schwere Pforte, die sich nach
indischer Vorstellung dröhnend hinter dem vom Leben Geschiedenen
schließt, aufzufangen, beweist also wohl ihre
»Vermännlichung« (denn das ist identisch mit Höherstehung)
gegenüber den vom Geiste frecher Aufklärung erfüllten
Europäerinnen?! Warum eine besondere Pietät der
Witwen für ihren verstorbenen Gatten zu verlangen sein
sollte, wenn nicht auch bei seinen Lebzeiten ein inniges
Verhältnis zwischen den Eheleuten herrschte, ist nicht recht
ersichtlich. War dies aber der Fall, so bleibt auch eine
treue, warme, schmerzliche Erinnerung, ja nicht selten ein
nie wieder zu bannendes Leid und oft eine fanatische Hingabe
an den Toten zurück, wofür Sage und Geschichte genügende
Beispiele liefern. Von »edlen Frauen«, die die
Witwenhaube nie wieder ablegten, wird uns schon im Lesebuche
erzählt, aber vom trostlosen Witwer ist noch nichts
vermeldet worden. Wie steht's denn mit seiner Pietät?

Aus Pietät für das Vergangene, Vergehende erkläre
sich auch das Unsterblichkeitsbedürfnis, welches angeblich
den Frauen »völlig abgeht«. Im Gegenteil, die meisten
haben es. Aber das Unsterblichkeitsbedürfnis, ja selbst
die Erklärung des (leicht begreiflichen) Wunsches nach
psychischer Unsterblichkeit, die Weininger zutreffend in
Gefühlsgründen findet, können noch nicht den Glauben
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[38/0044] gepflegt wird, auch »ein Merkmal des hervorragenden Menschen«. Aber nein: denn dem Weibe geht die Pietät ab, was schon aus dem Beispiel der – Witwen zu ersehen sei, mit deren Pietät für den heimgegangenen Gatten es so schlecht steht, daß die Frevlerinnen manchmal sogar einen zweiten nehmen. Daß sich die indischen Witwen pietätvoll verbrennen ließen, um an Stelle des im Tode vorausgegangenen Gatten rücksichtsvoll die dunkle, schwere Pforte, die sich nach indischer Vorstellung dröhnend hinter dem vom Leben Geschiedenen schließt, aufzufangen, beweist also wohl ihre »Vermännlichung« (denn das ist identisch mit Höherstehung) gegenüber den vom Geiste frecher Aufklärung erfüllten Europäerinnen?! Warum eine besondere Pietät der Witwen für ihren verstorbenen Gatten zu verlangen sein sollte, wenn nicht auch bei seinen Lebzeiten ein inniges Verhältnis zwischen den Eheleuten herrschte, ist nicht recht ersichtlich. War dies aber der Fall, so bleibt auch eine treue, warme, schmerzliche Erinnerung, ja nicht selten ein nie wieder zu bannendes Leid und oft eine fanatische Hingabe an den Toten zurück, wofür Sage und Geschichte genügende Beispiele liefern. Von »edlen Frauen«, die die Witwenhaube nie wieder ablegten, wird uns schon im Lesebuche erzählt, aber vom trostlosen Witwer ist noch nichts vermeldet worden. Wie steht's denn mit seiner Pietät? Aus Pietät für das Vergangene, Vergehende erkläre sich auch das Unsterblichkeitsbedürfnis, welches angeblich den Frauen »völlig abgeht«. Im Gegenteil, die meisten haben es. Aber das Unsterblichkeitsbedürfnis, ja selbst die Erklärung des (leicht begreiflichen) Wunsches nach psychischer Unsterblichkeit, die Weininger zutreffend in Gefühlsgründen findet, können noch nicht den Glauben an ein individuelles Fortleben nach dem Tode demjenigen

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/44>, abgerufen am 21.11.2024.