Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

in Todesnöthen wußte und ihm nicht beisprang. Ich gehe allein.

Er sagte es und ging in der Richtung zum Galgen mit großen Schritten fort.

Wendelin ging ganz trostlos zurück. Eine dämonische Furcht lastete erdrückend auf seinen Nerven. Er wußte nicht, ob er an eine Gespenstererscheinung glauben, oder seinen Herrn für verrückt halten solle. Im ersten Augenblick wollte er mit den Pferden davonfahren, besann sich wieder, wollte seinem Meister nachrennen und ihn zurückhalten, oder, wenn es sein müßte, mit ihm hinaufgehen, denn es schien ihm nirgendwo so schrecklich, als da, wo er sich allein befand. Er lenkte den Wagen von der Straße ab, band die Pferde an einen Baum an und begann dem Müller aus Leibeskräften nachzulaufen. Neben der Furcht, die ihn zu diesem Entschlüsse gebracht, wirkte offenbar, jedoch ihm selbst ganz unklar, eine innige Anhänglichkeit und bis zur Aufopferung reichende Treue zu seinem Herrn mit. Am Fuße des Galgenberges holte er den Müller ein.

Bester Herr! rief er athemlos, kehrt mit mir um. Der Mensch dort oben ist gerichtet, und wie -- und wann er stirbt -- ist gleich.

Pack dich, fuhr der Müller Wendelin zornig an, ich brauche dich nicht, närrischer Junge!

Wendelin blieb das Wort im Munde stecken. Er hatte einen Ton des Zornes vernommen, den der

in Todesnöthen wußte und ihm nicht beisprang. Ich gehe allein.

Er sagte es und ging in der Richtung zum Galgen mit großen Schritten fort.

Wendelin ging ganz trostlos zurück. Eine dämonische Furcht lastete erdrückend auf seinen Nerven. Er wußte nicht, ob er an eine Gespenstererscheinung glauben, oder seinen Herrn für verrückt halten solle. Im ersten Augenblick wollte er mit den Pferden davonfahren, besann sich wieder, wollte seinem Meister nachrennen und ihn zurückhalten, oder, wenn es sein müßte, mit ihm hinaufgehen, denn es schien ihm nirgendwo so schrecklich, als da, wo er sich allein befand. Er lenkte den Wagen von der Straße ab, band die Pferde an einen Baum an und begann dem Müller aus Leibeskräften nachzulaufen. Neben der Furcht, die ihn zu diesem Entschlüsse gebracht, wirkte offenbar, jedoch ihm selbst ganz unklar, eine innige Anhänglichkeit und bis zur Aufopferung reichende Treue zu seinem Herrn mit. Am Fuße des Galgenberges holte er den Müller ein.

Bester Herr! rief er athemlos, kehrt mit mir um. Der Mensch dort oben ist gerichtet, und wie — und wann er stirbt — ist gleich.

Pack dich, fuhr der Müller Wendelin zornig an, ich brauche dich nicht, närrischer Junge!

Wendelin blieb das Wort im Munde stecken. Er hatte einen Ton des Zornes vernommen, den der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0022"/>
in Todesnöthen wußte                und ihm nicht beisprang. Ich gehe allein.</p><lb/>
        <p>Er sagte es und ging in der Richtung zum Galgen mit großen Schritten fort.</p><lb/>
        <p>Wendelin ging ganz trostlos zurück. Eine dämonische Furcht lastete erdrückend auf                seinen Nerven. Er wußte nicht, ob er an eine Gespenstererscheinung glauben, oder                seinen Herrn für verrückt halten solle. Im ersten Augenblick wollte er mit den                Pferden davonfahren, besann sich wieder, wollte seinem Meister nachrennen und ihn                zurückhalten, oder, wenn es sein müßte, mit ihm hinaufgehen, denn es schien ihm                nirgendwo so schrecklich, als da, wo er sich allein befand. Er lenkte den Wagen von                der Straße ab, band die Pferde an einen Baum an und begann dem Müller aus                Leibeskräften nachzulaufen. Neben der Furcht, die ihn zu diesem Entschlüsse gebracht,                wirkte offenbar, jedoch ihm selbst ganz unklar, eine innige Anhänglichkeit und bis                zur Aufopferung reichende Treue zu seinem Herrn mit. Am Fuße des Galgenberges holte                er den Müller ein.</p><lb/>
        <p>Bester Herr! rief er athemlos, kehrt mit mir um. Der Mensch dort oben ist gerichtet,                und wie &#x2014; und wann er stirbt &#x2014; ist gleich.</p><lb/>
        <p>Pack dich, fuhr der Müller Wendelin zornig an, ich brauche dich nicht, närrischer                Junge!</p><lb/>
        <p>Wendelin blieb das Wort im Munde stecken. Er hatte einen Ton des Zornes vernommen,                den der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] in Todesnöthen wußte und ihm nicht beisprang. Ich gehe allein. Er sagte es und ging in der Richtung zum Galgen mit großen Schritten fort. Wendelin ging ganz trostlos zurück. Eine dämonische Furcht lastete erdrückend auf seinen Nerven. Er wußte nicht, ob er an eine Gespenstererscheinung glauben, oder seinen Herrn für verrückt halten solle. Im ersten Augenblick wollte er mit den Pferden davonfahren, besann sich wieder, wollte seinem Meister nachrennen und ihn zurückhalten, oder, wenn es sein müßte, mit ihm hinaufgehen, denn es schien ihm nirgendwo so schrecklich, als da, wo er sich allein befand. Er lenkte den Wagen von der Straße ab, band die Pferde an einen Baum an und begann dem Müller aus Leibeskräften nachzulaufen. Neben der Furcht, die ihn zu diesem Entschlüsse gebracht, wirkte offenbar, jedoch ihm selbst ganz unklar, eine innige Anhänglichkeit und bis zur Aufopferung reichende Treue zu seinem Herrn mit. Am Fuße des Galgenberges holte er den Müller ein. Bester Herr! rief er athemlos, kehrt mit mir um. Der Mensch dort oben ist gerichtet, und wie — und wann er stirbt — ist gleich. Pack dich, fuhr der Müller Wendelin zornig an, ich brauche dich nicht, närrischer Junge! Wendelin blieb das Wort im Munde stecken. Er hatte einen Ton des Zornes vernommen, den der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:41:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:41:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/22
Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/22>, abgerufen am 21.11.2024.