Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Müller selten, aber nie vergeblich anschlug. Er folgte still und ängstlich, bis er auf dem Gipfel stand. Dort angekommen, eilte der Müller auf den Körper zu, der unter dem Galgenbalken hingestreckt dalag, begann ihn zu reiben und Gesicht und Augen von Zeit zu Zeit anzuhauchen. Es bedurfte langer Sammlung, ehe Wendelin ganz nahe trat. Er sagte leise: Nun, nun! Hoffentlich seht Ihr es jetzt ein. Der Mann ist todt und alle Aerzte der Welt können ihm nicht helfen. Er ist nicht todt! rief der Müller. Er kömmt zu sich, er lebt. Hierher -- lege die Hand an sein Herz! Rasch in den Wagen mit ihm, in der Mühle wird er besser zu retten sein. Er ergriff den Gehenkten unter den Achseln, und Wendelin, von seines Herrn Blick und Stimme zu blindem Gehorsam gezwungen, faßte ihn bei den Füßen. So trugen sie ihn langsam hinab. Und in der That, es war Alles so, wie der Müller gesagt, -- der Mensch lebte. Schon auf der Heimfahrt entwand sich ein leises, dumpfes Stöhnen seiner Brust. Er zitterte kaum merklich an den Händen. Nach einer kleinen Stunde erreichte der Wagen die einsam stehende Mühle. Müller selten, aber nie vergeblich anschlug. Er folgte still und ängstlich, bis er auf dem Gipfel stand. Dort angekommen, eilte der Müller auf den Körper zu, der unter dem Galgenbalken hingestreckt dalag, begann ihn zu reiben und Gesicht und Augen von Zeit zu Zeit anzuhauchen. Es bedurfte langer Sammlung, ehe Wendelin ganz nahe trat. Er sagte leise: Nun, nun! Hoffentlich seht Ihr es jetzt ein. Der Mann ist todt und alle Aerzte der Welt können ihm nicht helfen. Er ist nicht todt! rief der Müller. Er kömmt zu sich, er lebt. Hierher — lege die Hand an sein Herz! Rasch in den Wagen mit ihm, in der Mühle wird er besser zu retten sein. Er ergriff den Gehenkten unter den Achseln, und Wendelin, von seines Herrn Blick und Stimme zu blindem Gehorsam gezwungen, faßte ihn bei den Füßen. So trugen sie ihn langsam hinab. Und in der That, es war Alles so, wie der Müller gesagt, — der Mensch lebte. Schon auf der Heimfahrt entwand sich ein leises, dumpfes Stöhnen seiner Brust. Er zitterte kaum merklich an den Händen. Nach einer kleinen Stunde erreichte der Wagen die einsam stehende Mühle. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0023"/> Müller selten, aber nie vergeblich anschlug. Er folgte still und ängstlich, bis er auf dem Gipfel stand.</p><lb/> <p>Dort angekommen, eilte der Müller auf den Körper zu, der unter dem Galgenbalken hingestreckt dalag, begann ihn zu reiben und Gesicht und Augen von Zeit zu Zeit anzuhauchen.</p><lb/> <p>Es bedurfte langer Sammlung, ehe Wendelin ganz nahe trat. Er sagte leise: Nun, nun! Hoffentlich seht Ihr es jetzt ein. Der Mann ist todt und alle Aerzte der Welt können ihm nicht helfen.</p><lb/> <p>Er ist nicht todt! rief der Müller. Er kömmt zu sich, er lebt. Hierher — lege die Hand an sein Herz! Rasch in den Wagen mit ihm, in der Mühle wird er besser zu retten sein.</p><lb/> <p>Er ergriff den Gehenkten unter den Achseln, und Wendelin, von seines Herrn Blick und Stimme zu blindem Gehorsam gezwungen, faßte ihn bei den Füßen. So trugen sie ihn langsam hinab.</p><lb/> <p>Und in der That, es war Alles so, wie der Müller gesagt, — der Mensch lebte. Schon auf der Heimfahrt entwand sich ein leises, dumpfes Stöhnen seiner Brust. Er zitterte kaum merklich an den Händen. Nach einer kleinen Stunde erreichte der Wagen die einsam stehende Mühle. </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Müller selten, aber nie vergeblich anschlug. Er folgte still und ängstlich, bis er auf dem Gipfel stand.
Dort angekommen, eilte der Müller auf den Körper zu, der unter dem Galgenbalken hingestreckt dalag, begann ihn zu reiben und Gesicht und Augen von Zeit zu Zeit anzuhauchen.
Es bedurfte langer Sammlung, ehe Wendelin ganz nahe trat. Er sagte leise: Nun, nun! Hoffentlich seht Ihr es jetzt ein. Der Mann ist todt und alle Aerzte der Welt können ihm nicht helfen.
Er ist nicht todt! rief der Müller. Er kömmt zu sich, er lebt. Hierher — lege die Hand an sein Herz! Rasch in den Wagen mit ihm, in der Mühle wird er besser zu retten sein.
Er ergriff den Gehenkten unter den Achseln, und Wendelin, von seines Herrn Blick und Stimme zu blindem Gehorsam gezwungen, faßte ihn bei den Füßen. So trugen sie ihn langsam hinab.
Und in der That, es war Alles so, wie der Müller gesagt, — der Mensch lebte. Schon auf der Heimfahrt entwand sich ein leises, dumpfes Stöhnen seiner Brust. Er zitterte kaum merklich an den Händen. Nach einer kleinen Stunde erreichte der Wagen die einsam stehende Mühle.
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/23>, abgerufen am 16.07.2024. |