Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das Testament aufgesetzt, das Wendelin zum alleinigen Erben dessen ernannte, was der Müller noch besaß. Der Morgen traf den Reinbacher wieder in seiner düsteren Fassung. Nach einem kurzen Rausche des Gefühls, der Erinnerung, der Hoffnung, war er wieder der starrenden Wirklichkeit gegenüber erwacht. Sein eiserner Trotz gegen einen furchtbaren Weltlauf stand wieder aufrecht. Man holte ihn zum letzten Gange ab -- er war bereit. Auf dem Wagen ermahnte ihn der Geistliche zur Buße und sagte: er möge bedenken, daß er bald vor seinem Gotte Rechenschaft abzulegen haben werde. Der Müller, der den ganzen Weg hindurch stumm da gesessen und zu Boden geblickt hatte, antwortete: Das ist nicht möglich, daß Gott von alle dem was weiß. Er könnte es nicht zulassen. Der Geistliche erschrak über diese Worte, und machte alle Anstrengungen, ihn zur Reue zu bewegen. Reinbacher gab keine Antwort. Alles Drängen war vergebens. Oben auf dem Galgenhügel, schon vom Henker angefaßt, sagte er zum Geistlichen, dessen eindringliche Vorstellungen noch immer nicht aufgehört hatten: Laßt mich, hochwürdiger Herr! Der fühlt sich nicht schuldig, der so leicht sterben kann. Leicht ist mir, wenn ich denke, daß ich so schnell ans der Welt fortkomme, so schnell! gleich! Ich wüßte nicht, was ich das Testament aufgesetzt, das Wendelin zum alleinigen Erben dessen ernannte, was der Müller noch besaß. Der Morgen traf den Reinbacher wieder in seiner düsteren Fassung. Nach einem kurzen Rausche des Gefühls, der Erinnerung, der Hoffnung, war er wieder der starrenden Wirklichkeit gegenüber erwacht. Sein eiserner Trotz gegen einen furchtbaren Weltlauf stand wieder aufrecht. Man holte ihn zum letzten Gange ab — er war bereit. Auf dem Wagen ermahnte ihn der Geistliche zur Buße und sagte: er möge bedenken, daß er bald vor seinem Gotte Rechenschaft abzulegen haben werde. Der Müller, der den ganzen Weg hindurch stumm da gesessen und zu Boden geblickt hatte, antwortete: Das ist nicht möglich, daß Gott von alle dem was weiß. Er könnte es nicht zulassen. Der Geistliche erschrak über diese Worte, und machte alle Anstrengungen, ihn zur Reue zu bewegen. Reinbacher gab keine Antwort. Alles Drängen war vergebens. Oben auf dem Galgenhügel, schon vom Henker angefaßt, sagte er zum Geistlichen, dessen eindringliche Vorstellungen noch immer nicht aufgehört hatten: Laßt mich, hochwürdiger Herr! Der fühlt sich nicht schuldig, der so leicht sterben kann. Leicht ist mir, wenn ich denke, daß ich so schnell ans der Welt fortkomme, so schnell! gleich! Ich wüßte nicht, was ich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0099"/> das Testament aufgesetzt, das Wendelin zum alleinigen Erben dessen ernannte, was der Müller noch besaß.</p><lb/> <p>Der Morgen traf den Reinbacher wieder in seiner düsteren Fassung. Nach einem kurzen Rausche des Gefühls, der Erinnerung, der Hoffnung, war er wieder der starrenden Wirklichkeit gegenüber erwacht. Sein eiserner Trotz gegen einen furchtbaren Weltlauf stand wieder aufrecht.</p><lb/> <p>Man holte ihn zum letzten Gange ab — er war bereit. Auf dem Wagen ermahnte ihn der Geistliche zur Buße und sagte: er möge bedenken, daß er bald vor seinem Gotte Rechenschaft abzulegen haben werde.</p><lb/> <p>Der Müller, der den ganzen Weg hindurch stumm da gesessen und zu Boden geblickt hatte, antwortete: </p><lb/> <p> Das ist nicht möglich, daß Gott von alle dem was weiß. Er könnte es nicht zulassen.</p><lb/> <p>Der Geistliche erschrak über diese Worte, und machte alle Anstrengungen, ihn zur Reue zu bewegen.</p><lb/> <p>Reinbacher gab keine Antwort. Alles Drängen war vergebens. Oben auf dem Galgenhügel, schon vom Henker angefaßt, sagte er zum Geistlichen, dessen eindringliche Vorstellungen noch immer nicht aufgehört hatten:</p><lb/> <p>Laßt mich, hochwürdiger Herr! Der fühlt sich nicht schuldig, der so leicht sterben kann. Leicht ist mir, wenn ich denke, daß ich so schnell ans der Welt fortkomme, so schnell! gleich! Ich wüßte nicht, was ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
das Testament aufgesetzt, das Wendelin zum alleinigen Erben dessen ernannte, was der Müller noch besaß.
Der Morgen traf den Reinbacher wieder in seiner düsteren Fassung. Nach einem kurzen Rausche des Gefühls, der Erinnerung, der Hoffnung, war er wieder der starrenden Wirklichkeit gegenüber erwacht. Sein eiserner Trotz gegen einen furchtbaren Weltlauf stand wieder aufrecht.
Man holte ihn zum letzten Gange ab — er war bereit. Auf dem Wagen ermahnte ihn der Geistliche zur Buße und sagte: er möge bedenken, daß er bald vor seinem Gotte Rechenschaft abzulegen haben werde.
Der Müller, der den ganzen Weg hindurch stumm da gesessen und zu Boden geblickt hatte, antwortete:
Das ist nicht möglich, daß Gott von alle dem was weiß. Er könnte es nicht zulassen.
Der Geistliche erschrak über diese Worte, und machte alle Anstrengungen, ihn zur Reue zu bewegen.
Reinbacher gab keine Antwort. Alles Drängen war vergebens. Oben auf dem Galgenhügel, schon vom Henker angefaßt, sagte er zum Geistlichen, dessen eindringliche Vorstellungen noch immer nicht aufgehört hatten:
Laßt mich, hochwürdiger Herr! Der fühlt sich nicht schuldig, der so leicht sterben kann. Leicht ist mir, wenn ich denke, daß ich so schnell ans der Welt fortkomme, so schnell! gleich! Ich wüßte nicht, was ich
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