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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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zumal in gewißen Punkten immer schärfer als
wir Männer urtheilen, -- war gleich der
Meinung: daß dahinter allerdings wohl mehr
stecken könne. Sie kannte die Dirne ein we-
nig; sie entsann sich, daß sie vorm Jahre ge-
kränkelt habe; jezt aber, seit einigen Monaten
wieder, wie Milch und Blut aussähe. Sie
hegte die christliche Muthmaßung, daß sie wohl
nicht ohne Nebenursache so lange schon bei ei-
nem Witwer diene; nicht ohne Nebenverdienst
so gut sich trage; kurz -- was bei dem ersten
Erzäler nur dunkles Gefühl, nur verworrne
Muthmaßung gewesen war, das ward hier
zusammenhängend und fast so gut als ent-
schieden. Jhr Mann trat endlich ebenfalls
ihrer Meinung bei, und da unter den Bauern
in der Schenkstube auch der Richter des Dor-
fes sich befand, so ward er nicht minder
herausgerufen, alles ihm erzält, und von der
Wirthin das Gutachten angehängt: daß man
die Dirne sofort verhaften solle, weil sie dann
im erstenSchrecken gewiß alles bekennen werde.

zumal in gewißen Punkten immer ſchaͤrfer als
wir Maͤnner urtheilen, — war gleich der
Meinung: daß dahinter allerdings wohl mehr
ſtecken koͤnne. Sie kannte die Dirne ein we-
nig; ſie entſann ſich, daß ſie vorm Jahre ge-
kraͤnkelt habe; jezt aber, ſeit einigen Monaten
wieder, wie Milch und Blut ausſaͤhe. Sie
hegte die chriſtliche Muthmaßung, daß ſie wohl
nicht ohne Nebenurſache ſo lange ſchon bei ei-
nem Witwer diene; nicht ohne Nebenverdienſt
ſo gut ſich trage; kurz — was bei dem erſten
Erzaͤler nur dunkles Gefuͤhl, nur verworrne
Muthmaßung geweſen war, das ward hier
zuſammenhaͤngend und faſt ſo gut als ent-
ſchieden. Jhr Mann trat endlich ebenfalls
ihrer Meinung bei, und da unter den Bauern
in der Schenkſtube auch der Richter des Dor-
fes ſich befand, ſo ward er nicht minder
herausgerufen, alles ihm erzaͤlt, und von der
Wirthin das Gutachten angehaͤngt: daß man
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im erſtenSchrecken gewiß alles bekennen werde.

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[95/0103] zumal in gewißen Punkten immer ſchaͤrfer als wir Maͤnner urtheilen, — war gleich der Meinung: daß dahinter allerdings wohl mehr ſtecken koͤnne. Sie kannte die Dirne ein we- nig; ſie entſann ſich, daß ſie vorm Jahre ge- kraͤnkelt habe; jezt aber, ſeit einigen Monaten wieder, wie Milch und Blut ausſaͤhe. Sie hegte die chriſtliche Muthmaßung, daß ſie wohl nicht ohne Nebenurſache ſo lange ſchon bei ei- nem Witwer diene; nicht ohne Nebenverdienſt ſo gut ſich trage; kurz — was bei dem erſten Erzaͤler nur dunkles Gefuͤhl, nur verworrne Muthmaßung geweſen war, das ward hier zuſammenhaͤngend und faſt ſo gut als ent- ſchieden. Jhr Mann trat endlich ebenfalls ihrer Meinung bei, und da unter den Bauern in der Schenkſtube auch der Richter des Dor- fes ſich befand, ſo ward er nicht minder herausgerufen, alles ihm erzaͤlt, und von der Wirthin das Gutachten angehaͤngt: daß man die Dirne ſofort verhaften ſolle, weil ſie dann im erſtenSchrecken gewiß alles bekennen werde.

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/103>, abgerufen am 23.11.2024.