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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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trachtete sie einige Augenblikke unverwandt;
sie blieb stehen. Jhre Arme waren wieder
ausgebreitet. Mit einemFinger schien sie ihm zu
drohen. Es überlief ihn ein eiskalter Schauer;
er eilte wieder zurück und brachte auch diese
Nacht wie jene erstre mit Furcht, Gebet und
guten Vorsäzzen von Lebensbesserung zu.

Aber Geiz und Habsucht, wo sie einmal
recht Raum gewonnen haben, überwälti-
gen auch den besten Vorsaz und selbst das
erwachte Gewißen. Bei jedem Pfennig, den
unser Hausmeister wieder für jene, schon er-
wähnte, Bedürfniße ausgab, dachte er alle-
mal: "Hast das so nahe; könntest das so
umsonst haben!" Jmmer überzeugte er sich
stärker, daß jener Geist, troz seines zweima-
ligen Schildwachtstehens, nur ein Spiel der
Einbildungskraft, ein selbstgeschafnes Schreck-
bild sey -- "Wenn deine Frau dir erscheinen
"wollte und könnte, warum nur immer im
"Hofe und vor jener Thüre? Warum nicht
"auch hier auf deinem Zimmer? Warum

trachtete ſie einige Augenblikke unverwandt;
ſie blieb ſtehen. Jhre Arme waren wieder
ausgebreitet. Mit einemFinger ſchien ſie ihm zu
drohen. Es uͤberlief ihn ein eiskalter Schauer;
er eilte wieder zuruͤck und brachte auch dieſe
Nacht wie jene erſtre mit Furcht, Gebet und
guten Vorſaͤzzen von Lebensbeſſerung zu.

Aber Geiz und Habſucht, wo ſie einmal
recht Raum gewonnen haben, uͤberwaͤlti-
gen auch den beſten Vorſaz und ſelbſt das
erwachte Gewißen. Bei jedem Pfennig, den
unſer Hausmeiſter wieder fuͤr jene, ſchon er-
waͤhnte, Beduͤrfniße ausgab, dachte er alle-
mal: „Haſt das ſo nahe; koͤnnteſt das ſo
umſonſt haben!“ Jmmer uͤberzeugte er ſich
ſtaͤrker, daß jener Geiſt, troz ſeines zweima-
ligen Schildwachtſtehens, nur ein Spiel der
Einbildungskraft, ein ſelbſtgeſchafnes Schreck-
bild ſey — „Wenn deine Frau dir erſcheinen
„wollte und koͤnnte, warum nur immer im
„Hofe und vor jener Thuͤre? Warum nicht
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[111/0119] trachtete ſie einige Augenblikke unverwandt; ſie blieb ſtehen. Jhre Arme waren wieder ausgebreitet. Mit einemFinger ſchien ſie ihm zu drohen. Es uͤberlief ihn ein eiskalter Schauer; er eilte wieder zuruͤck und brachte auch dieſe Nacht wie jene erſtre mit Furcht, Gebet und guten Vorſaͤzzen von Lebensbeſſerung zu. Aber Geiz und Habſucht, wo ſie einmal recht Raum gewonnen haben, uͤberwaͤlti- gen auch den beſten Vorſaz und ſelbſt das erwachte Gewißen. Bei jedem Pfennig, den unſer Hausmeiſter wieder fuͤr jene, ſchon er- waͤhnte, Beduͤrfniße ausgab, dachte er alle- mal: „Haſt das ſo nahe; koͤnnteſt das ſo umſonſt haben!“ Jmmer uͤberzeugte er ſich ſtaͤrker, daß jener Geiſt, troz ſeines zweima- ligen Schildwachtſtehens, nur ein Spiel der Einbildungskraft, ein ſelbſtgeſchafnes Schreck- bild ſey — „Wenn deine Frau dir erſcheinen „wollte und koͤnnte, warum nur immer im „Hofe und vor jener Thuͤre? Warum nicht „auch hier auf deinem Zimmer? Warum

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/119>, abgerufen am 23.11.2024.