tragen, durch sein frommes Reden, durch wil- lige Dienstleistungen und Kleinigkeiten mancher Art hatte er nach und nach das Zutrauen des Aufsehers vom Zuchthause erworben. Daß er zu entfliehen suchen solle, argwohnte kein Mensch, denn man hielt ihn noch für alzu- matt von seiner lezten Krankheit; nicht gerech- net, daß es eine Thorheit gewesen wäre, wenn er, der nicht viel zu befürchten hatte, durch eine Entweichung sich alles hätte verschlim- mern wollen. -- Mit wenigen Worten, man traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu bemerken: wo des Nachts die Hausschlüssel hingelegt wurden; wuste sie glücklich zu ent- wenden; schlos auf; war aber nichts weni- ger willens, als zu entfliehen; sondern sein einziger Zweck blieb: Wiederholung seiner Rache. Diesmal hatte er nicht so weit, wie das erstemal. Nachdem er bewürkt, was er suchte, war er richtig zurückgekehrt, und war beim Eingange so unbemerkt wie beim Aus- gange geblieben.
tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil- lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher Art hatte er nach und nach das Zutrauen des Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu- matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech- net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim- mern wollen. — Mit wenigen Worten, man traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent- wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni- ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus- gange geblieben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0222"n="214"/>
tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil-<lb/>
lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher<lb/>
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des<lb/>
Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß<lb/>
er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein<lb/>
Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu-<lb/>
matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech-<lb/>
net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn<lb/>
er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch<lb/>
eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim-<lb/>
mern wollen. — Mit wenigen Worten, man<lb/>
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu<lb/>
bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel<lb/>
hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent-<lb/>
wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni-<lb/>
ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein<lb/>
einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner<lb/>
Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie<lb/>
das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er<lb/>ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war<lb/>
beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus-<lb/>
gange geblieben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[214/0222]
tragen, durch ſein frommes Reden, durch wil-
lige Dienſtleiſtungen und Kleinigkeiten mancher
Art hatte er nach und nach das Zutrauen des
Aufſehers vom Zuchthauſe erworben. Daß
er zu entfliehen ſuchen ſolle, argwohnte kein
Menſch, denn man hielt ihn noch fuͤr alzu-
matt von ſeiner lezten Krankheit; nicht gerech-
net, daß es eine Thorheit geweſen waͤre, wenn
er, der nicht viel zu befuͤrchten hatte, durch
eine Entweichung ſich alles haͤtte verſchlim-
mern wollen. — Mit wenigen Worten, man
traute ihm alzuviel! Er fand Gelegenheit zu
bemerken: wo des Nachts die Hausſchluͤſſel
hingelegt wurden; wuſte ſie gluͤcklich zu ent-
wenden; ſchlos auf; war aber nichts weni-
ger willens, als zu entfliehen; ſondern ſein
einziger Zweck blieb: Wiederholung ſeiner
Rache. Diesmal hatte er nicht ſo weit, wie
das erſtemal. Nachdem er bewuͤrkt, was er
ſuchte, war er richtig zuruͤckgekehrt, und war
beim Eingange ſo unbemerkt wie beim Aus-
gange geblieben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/222>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.