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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Geschlecht sah er keine Begüterte, wo der Zu-
tritt sofort ihm offen stand. Jn halber Ver-
zweiflung beschlos er, auch mit dem Alter
es nicht genau zu nehmen. Eine unseelige
Gelegenheit bot sich ihm hier von selbst an.

Jm Hause seines Vaters war schon längst
eine reiche Posamentirers Witwe viel aus-und
eingegangen. Jhr Mann, der sein Gewerbe
fabrikmäßig im Großen getrieben, hatte ein
ansehnliches Vermögen ihr hinterlassen, und
sie dasselbe seit funfzehn Jahren unabläßig
vermehrt. Das Stadtgerüchte gab ihr acht-
zig tausend Gulden. Zur reichlichern Hälfte
bekante sie sich mit einer Miene, die -- mehr
sagte. Eine Wucherin durfte man zwar nicht sie
schelten; aber sparsam, oder vielmehr geizig
war sie allerdings; sonst ein gutes ehrliches
Weib, die jedoch ihren Jahren nach reichlich
für Heinrichs Mutter, ihrem Ansehn nach fast
für seine Grosmutter gelten konte! Wohl
zwanzig Heirathen hatte sie in ihrem Witwen-
stande ausgeschlagen; gleichwohl musten die

Jahre

Geſchlecht ſah er keine Beguͤterte, wo der Zu-
tritt ſofort ihm offen ſtand. Jn halber Ver-
zweiflung beſchlos er, auch mit dem Alter
es nicht genau zu nehmen. Eine unſeelige
Gelegenheit bot ſich ihm hier von ſelbſt an.

Jm Hauſe ſeines Vaters war ſchon laͤngſt
eine reiche Poſamentirers Witwe viel aus-und
eingegangen. Jhr Mann, der ſein Gewerbe
fabrikmaͤßig im Großen getrieben, hatte ein
anſehnliches Vermoͤgen ihr hinterlaſſen, und
ſie daſſelbe ſeit funfzehn Jahren unablaͤßig
vermehrt. Das Stadtgeruͤchte gab ihr acht-
zig tauſend Gulden. Zur reichlichern Haͤlfte
bekante ſie ſich mit einer Miene, die — mehr
ſagte. Eine Wucherin durfte man zwar nicht ſie
ſchelten; aber ſparſam, oder vielmehr geizig
war ſie allerdings; ſonſt ein gutes ehrliches
Weib, die jedoch ihren Jahren nach reichlich
fuͤr Heinrichs Mutter, ihrem Anſehn nach faſt
fuͤr ſeine Grosmutter gelten konte! Wohl
zwanzig Heirathen hatte ſie in ihrem Witwen-
ſtande ausgeſchlagen; gleichwohl muſten die

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[256/0264] Geſchlecht ſah er keine Beguͤterte, wo der Zu- tritt ſofort ihm offen ſtand. Jn halber Ver- zweiflung beſchlos er, auch mit dem Alter es nicht genau zu nehmen. Eine unſeelige Gelegenheit bot ſich ihm hier von ſelbſt an. Jm Hauſe ſeines Vaters war ſchon laͤngſt eine reiche Poſamentirers Witwe viel aus-und eingegangen. Jhr Mann, der ſein Gewerbe fabrikmaͤßig im Großen getrieben, hatte ein anſehnliches Vermoͤgen ihr hinterlaſſen, und ſie daſſelbe ſeit funfzehn Jahren unablaͤßig vermehrt. Das Stadtgeruͤchte gab ihr acht- zig tauſend Gulden. Zur reichlichern Haͤlfte bekante ſie ſich mit einer Miene, die — mehr ſagte. Eine Wucherin durfte man zwar nicht ſie ſchelten; aber ſparſam, oder vielmehr geizig war ſie allerdings; ſonſt ein gutes ehrliches Weib, die jedoch ihren Jahren nach reichlich fuͤr Heinrichs Mutter, ihrem Anſehn nach faſt fuͤr ſeine Grosmutter gelten konte! Wohl zwanzig Heirathen hatte ſie in ihrem Witwen- ſtande ausgeſchlagen; gleichwohl muſten die Jahre

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/264>, abgerufen am 23.11.2024.