spielte ein paar Augenblicke die Erstaunte; antwortete aber bald mit einem tiefen Seuf- zer: Es scheine ihr auch, als ob diese zweite Ehe im Himmel selbst ihr bestimt worden sei! Ein Kuß, sehr zärtlich auf ihrer, sehr beschei- den auf seiner Seite, besiegelte den Bund. Des andern Tags feierten sie Verlobung. Die Hochzeit selbst konte, weil es grade Fastenzeit war, erst nach sechs oder sieben Wochen an- beraumt werden.
Der gute Himmel! Welche ungeheure Men- ge freiwilliger Thorheiten möchten die Men- schen gern, als seinen Rathschluß betrachten! -- Ganz N* g, als diese Verlobung kund ward, wunderte sich laut und einstimmig drü- ber. Selbst diejenigen, welche den wahren Grund derselben muthmaßten, misbilligten doch diesen Schritt, und R. spürte diesen Tadel gar bald. So oft er an öffentlichen Orten mit seiner Verlobten am Arm erschien, sah er aller Blicke lächelnd auf sich gerichtet. Der spöttische Glückwunsch seiner Bekanten schnitt
ſpielte ein paar Augenblicke die Erſtaunte; antwortete aber bald mit einem tiefen Seuf- zer: Es ſcheine ihr auch, als ob dieſe zweite Ehe im Himmel ſelbſt ihr beſtimt worden ſei! Ein Kuß, ſehr zaͤrtlich auf ihrer, ſehr beſchei- den auf ſeiner Seite, beſiegelte den Bund. Des andern Tags feierten ſie Verlobung. Die Hochzeit ſelbſt konte, weil es grade Faſtenzeit war, erſt nach ſechs oder ſieben Wochen an- beraumt werden.
Der gute Himmel! Welche ungeheure Men- ge freiwilliger Thorheiten moͤchten die Men- ſchen gern, als ſeinen Rathſchluß betrachten! — Ganz N* g, als dieſe Verlobung kund ward, wunderte ſich laut und einſtimmig druͤ- ber. Selbſt diejenigen, welche den wahren Grund derſelben muthmaßten, misbilligten doch dieſen Schritt, und R. ſpuͤrte dieſen Tadel gar bald. So oft er an oͤffentlichen Orten mit ſeiner Verlobten am Arm erſchien, ſah er aller Blicke laͤchelnd auf ſich gerichtet. Der ſpoͤttiſche Gluͤckwunſch ſeiner Bekanten ſchnitt
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ſpielte ein paar Augenblicke die Erſtaunte;
antwortete aber bald mit einem tiefen Seuf-
zer: Es ſcheine ihr auch, als ob dieſe zweite
Ehe im Himmel ſelbſt ihr beſtimt worden ſei!
Ein Kuß, ſehr zaͤrtlich auf ihrer, ſehr beſchei-
den auf ſeiner Seite, beſiegelte den Bund.
Des andern Tags feierten ſie Verlobung. Die
Hochzeit ſelbſt konte, weil es grade Faſtenzeit
war, erſt nach ſechs oder ſieben Wochen an-
beraumt werden.
Der gute Himmel! Welche ungeheure Men-
ge freiwilliger Thorheiten moͤchten die Men-
ſchen gern, als ſeinen Rathſchluß betrachten!
— Ganz N* g, als dieſe Verlobung kund
ward, wunderte ſich laut und einſtimmig druͤ-
ber. Selbſt diejenigen, welche den wahren
Grund derſelben muthmaßten, misbilligten
doch dieſen Schritt, und R. ſpuͤrte dieſen Tadel
gar bald. So oft er an oͤffentlichen Orten
mit ſeiner Verlobten am Arm erſchien, ſah
er aller Blicke laͤchelnd auf ſich gerichtet. Der
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/266>, abgerufen am 23.11.2024.
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