funden, daß er einem Unglücklichen dasjenige Geheimnis, das er schon zweimal, selbst aus der Marterkammer, unverrathen zurückbrachte, durch anscheinende Güte dennoch zu entwin- den wußte. -- Zwar, da jede Sache in der Welt ihre zwiefache Seite hat, so wüßt' ich, wenn Falk jezt aufträte und fragte: "Was "hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan, "als die Gerechtigkeit unterstüzt? Was hab' "ich anders bezweckt, als -- die Wahrheit "ans Licht zu bringen? War R. etwa kein "Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach "unsern Gesezzen, das Leben längst verwürkt "hatte? Verschaft' ich nicht rechtmäßigen "Erben auf diesem Weg eine ansehnliche, sonst "für sie ganz verlorne Summe wieder?" wenn er so fragte, so wüßt' ich wahrlich nicht, was strenge, förmliche Gerechtigkeit dagegen einwenden könte. Aber daß er mein Herz nicht überzeugen würde; daß ich selbst der Mann nicht seyn wolte, der solche Verdienste sich er- wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum
funden, daß er einem Ungluͤcklichen dasjenige Geheimnis, das er ſchon zweimal, ſelbſt aus der Marterkammer, unverrathen zuruͤckbrachte, durch anſcheinende Guͤte dennoch zu entwin- den wußte. — Zwar, da jede Sache in der Welt ihre zwiefache Seite hat, ſo wuͤßt' ich, wenn Falk jezt auftraͤte und fragte: „Was „hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan, „als die Gerechtigkeit unterſtuͤzt? Was hab' „ich anders bezweckt, als — die Wahrheit „ans Licht zu bringen? War R. etwa kein „Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach „unſern Geſezzen, das Leben laͤngſt verwuͤrkt „hatte? Verſchaft' ich nicht rechtmaͤßigen „Erben auf dieſem Weg eine anſehnliche, ſonſt „fuͤr ſie ganz verlorne Summe wieder?“ wenn er ſo fragte, ſo wuͤßt' ich wahrlich nicht, was ſtrenge, foͤrmliche Gerechtigkeit dagegen einwenden koͤnte. Aber daß er mein Herz nicht uͤberzeugen wuͤrde; daß ich ſelbſt der Mann nicht ſeyn wolte, der ſolche Verdienſte ſich er- wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum
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funden, daß er einem Ungluͤcklichen dasjenige
Geheimnis, das er ſchon zweimal, ſelbſt aus
der Marterkammer, unverrathen zuruͤckbrachte,
durch anſcheinende Guͤte dennoch zu entwin-
den wußte. — Zwar, da jede Sache in der
Welt ihre zwiefache Seite hat, ſo wuͤßt' ich,
wenn Falk jezt auftraͤte und fragte: „Was
„hab' ich aber, genau betrachtet, anders gethan,
„als die Gerechtigkeit unterſtuͤzt? Was hab'
„ich anders bezweckt, als — die Wahrheit
„ans Licht zu bringen? War R. etwa kein
„Verbrecher, der durch Raub und Mord, nach
„unſern Geſezzen, das Leben laͤngſt verwuͤrkt
„hatte? Verſchaft' ich nicht rechtmaͤßigen
„Erben auf dieſem Weg eine anſehnliche, ſonſt
„fuͤr ſie ganz verlorne Summe wieder?“
wenn er ſo fragte, ſo wuͤßt' ich wahrlich nicht,
was ſtrenge, foͤrmliche Gerechtigkeit dagegen
einwenden koͤnte. Aber daß er mein Herz nicht
uͤberzeugen wuͤrde; daß ich ſelbſt der Mann
nicht ſeyn wolte, der ſolche Verdienſte ſich er-
wirbt; daß ich ihn weder zum Bruder noch zum
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/330>, abgerufen am 23.11.2024.
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