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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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säumt. Das erwürgte Kind ward gehörig
besichtigt; die angebliche Verbrecherin keines-
wegs. Bei einer körperlichen Untersuchung
müste es sich doch wohl unläugbar ergeben
haben, daß sie nicht erst vor kurzem wieder
Mutter geworden seyn könne. Aber weil so
viel gegen sie sprach; der Ort, wo sie gefun-
den worden, ihr sichtliches Halten des Päckt-
chens in Händen, ihr Wegwerfen und Weg-
gehn, ihr Läugnen und Erschrecken, selbst ihr
ehmahliger Fehltritt -- so war man fest über-
zeugt, daß alles ihr Betheuern und Schwö-
ren eitel Unwahrheit sey; verhörte sie nach dem
gewöhnlichen Schneckengange teutscher Kri-
minaljustiz, und -- verschickte die Akten.

Noch galt damals leider bei Gerichtshöfen
und Schöppenstühlen die Folter für das
einzige Mittel verstockte Sünder zum Geständ-
nis zu bringen. Lieber zehn Unschuldige ge-
peinigt, als einen Bösewicht durchschlüpfen
lassen! Dies war der unselige Grundsaz,
nach welchem Urtheilsverfasser sprachen, die

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ſaͤumt. Das erwuͤrgte Kind ward gehoͤrig
beſichtigt; die angebliche Verbrecherin keines-
wegs. Bei einer koͤrperlichen Unterſuchung
muͤſte es ſich doch wohl unlaͤugbar ergeben
haben, daß ſie nicht erſt vor kurzem wieder
Mutter geworden ſeyn koͤnne. Aber weil ſo
viel gegen ſie ſprach; der Ort, wo ſie gefun-
den worden, ihr ſichtliches Halten des Paͤckt-
chens in Haͤnden, ihr Wegwerfen und Weg-
gehn, ihr Laͤugnen und Erſchrecken, ſelbſt ihr
ehmahliger Fehltritt — ſo war man feſt uͤber-
zeugt, daß alles ihr Betheuern und Schwoͤ-
ren eitel Unwahrheit ſey; verhoͤrte ſie nach dem
gewoͤhnlichen Schneckengange teutſcher Kri-
minaljuſtiz, und — verſchickte die Akten.

Noch galt damals leider bei Gerichtshoͤfen
und Schoͤppenſtuͤhlen die Folter fuͤr das
einzige Mittel verſtockte Suͤnder zum Geſtaͤnd-
nis zu bringen. Lieber zehn Unſchuldige ge-
peinigt, als einen Boͤſewicht durchſchluͤpfen
laſſen! Dies war der unſelige Grundſaz,
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[87/0095] ſaͤumt. Das erwuͤrgte Kind ward gehoͤrig beſichtigt; die angebliche Verbrecherin keines- wegs. Bei einer koͤrperlichen Unterſuchung muͤſte es ſich doch wohl unlaͤugbar ergeben haben, daß ſie nicht erſt vor kurzem wieder Mutter geworden ſeyn koͤnne. Aber weil ſo viel gegen ſie ſprach; der Ort, wo ſie gefun- den worden, ihr ſichtliches Halten des Paͤckt- chens in Haͤnden, ihr Wegwerfen und Weg- gehn, ihr Laͤugnen und Erſchrecken, ſelbſt ihr ehmahliger Fehltritt — ſo war man feſt uͤber- zeugt, daß alles ihr Betheuern und Schwoͤ- ren eitel Unwahrheit ſey; verhoͤrte ſie nach dem gewoͤhnlichen Schneckengange teutſcher Kri- minaljuſtiz, und — verſchickte die Akten. Noch galt damals leider bei Gerichtshoͤfen und Schoͤppenſtuͤhlen die Folter fuͤr das einzige Mittel verſtockte Suͤnder zum Geſtaͤnd- nis zu bringen. Lieber zehn Unſchuldige ge- peinigt, als einen Boͤſewicht durchſchluͤpfen laſſen! Dies war der unſelige Grundſaz, nach welchem Urtheilsverfaſſer ſprachen, die F 4

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/95>, abgerufen am 27.11.2024.