Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Schriftsteller *) hierüber aus, "daß alles Kir-
"chenrecht und die Macht eines geistlichen Ge-
"richts, wodurch Meinungen erzwungen, oder
"eingeschränkt werden, eine begriflose Sache
"ist; daß kein Fall zu erdenken, wodurch so ein
"Gesetz gegründet sey, daß die Kunst nichts schaf-
"fen könne, wozu die Natur nicht den Keim her-
"vorgebracht habe -- aber so vernunftmäßig die-
"ses alles seyn mag, was sie darüber sagen, "
redet er mich an, "so geradezu widerspricht es
"dem Glauben ihrer Väter im engern Verstan-
"de, und den Grundsätzen der Kirche, welche nicht
"blos von den Kommentaristen angenommen;
"sondern selbst in den Büchern Mose ausdrük-
"lich festgesetzt sind. Nach der gesunden Ver-
"nunft findet gar kein Gottesdienst ohne Ueber-
"zeugung statt, und jede erzwungene gottes-
"dienstliche Handlung hört das auf zu seyn. Be-
"folgung göttlicher Gebote aus Furcht vor der
"darauf gesetzten Strafe ist Sklavendienst, der
"nach reinen Begriffen nimmermehr Gott ge-

"fällig
*) Das Forschen nach Licht und Recht, in einem
Schreiben an Herrn M. Mendelssohn Berlin
1782.

Schriftſteller *) hieruͤber aus, „daß alles Kir-
„chenrecht und die Macht eines geiſtlichen Ge-
„richts, wodurch Meinungen erzwungen, oder
„eingeſchraͤnkt werden, eine begrifloſe Sache
„iſt; daß kein Fall zu erdenken, wodurch ſo ein
„Geſetz gegruͤndet ſey, daß die Kunſt nichts ſchaf-
„fen koͤnne, wozu die Natur nicht den Keim her-
„vorgebracht habe — aber ſo vernunftmaͤßig die-
„ſes alles ſeyn mag, was ſie daruͤber ſagen, „
redet er mich an, „ſo geradezu widerſpricht es
„dem Glauben ihrer Vaͤter im engern Verſtan-
„de, und den Grundſaͤtzen der Kirche, welche nicht
„blos von den Kommentariſten angenommen;
„ſondern ſelbſt in den Buͤchern Moſe ausdruͤk-
„lich feſtgeſetzt ſind. Nach der geſunden Ver-
„nunft findet gar kein Gottesdienſt ohne Ueber-
„zeugung ſtatt, und jede erzwungene gottes-
„dienſtliche Handlung hoͤrt das auf zu ſeyn. Be-
„folgung goͤttlicher Gebote aus Furcht vor der
„darauf geſetzten Strafe iſt Sklavendienſt, der
„nach reinen Begriffen nimmermehr Gott ge-

„faͤllig
*) Das Forſchen nach Licht und Recht, in einem
Schreiben an Herrn M. Mendelsſohn Berlin
1782.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="20"/>
Schrift&#x017F;teller <note place="foot" n="*)">Das For&#x017F;chen nach Licht und Recht, in einem<lb/>
Schreiben an Herrn M. Mendels&#x017F;ohn Berlin<lb/>
1782.</note> hieru&#x0364;ber aus, &#x201E;daß alles Kir-<lb/>
&#x201E;chenrecht und die Macht eines gei&#x017F;tlichen Ge-<lb/>
&#x201E;richts, wodurch Meinungen erzwungen, oder<lb/>
&#x201E;einge&#x017F;chra&#x0364;nkt werden, eine begriflo&#x017F;e Sache<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t; daß kein Fall zu erdenken, wodurch &#x017F;o ein<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;etz gegru&#x0364;ndet &#x017F;ey, daß die Kun&#x017F;t nichts &#x017F;chaf-<lb/>
&#x201E;fen ko&#x0364;nne, wozu die Natur nicht den Keim her-<lb/>
&#x201E;vorgebracht habe &#x2014; aber &#x017F;o vernunftma&#x0364;ßig die-<lb/>
&#x201E;&#x017F;es alles &#x017F;eyn mag, was &#x017F;ie daru&#x0364;ber &#x017F;agen, &#x201E;<lb/>
redet er mich an, &#x201E;&#x017F;o geradezu wider&#x017F;pricht es<lb/>
&#x201E;dem Glauben ihrer Va&#x0364;ter im engern Ver&#x017F;tan-<lb/>
&#x201E;de, und den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen der Kirche, welche nicht<lb/>
&#x201E;blos von den Kommentari&#x017F;ten angenommen;<lb/>
&#x201E;&#x017F;ondern &#x017F;elb&#x017F;t in den Bu&#x0364;chern Mo&#x017F;e ausdru&#x0364;k-<lb/>
&#x201E;lich fe&#x017F;tge&#x017F;etzt &#x017F;ind. Nach der ge&#x017F;unden Ver-<lb/>
&#x201E;nunft findet gar kein Gottesdien&#x017F;t ohne Ueber-<lb/>
&#x201E;zeugung &#x017F;tatt, und jede erzwungene gottes-<lb/>
&#x201E;dien&#x017F;tliche Handlung ho&#x0364;rt das auf zu &#x017F;eyn. Be-<lb/>
&#x201E;folgung go&#x0364;ttlicher Gebote aus Furcht vor der<lb/>
&#x201E;darauf ge&#x017F;etzten Strafe i&#x017F;t Sklavendien&#x017F;t, der<lb/>
&#x201E;nach reinen Begriffen nimmermehr Gott ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;fa&#x0364;llig</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0122] Schriftſteller *) hieruͤber aus, „daß alles Kir- „chenrecht und die Macht eines geiſtlichen Ge- „richts, wodurch Meinungen erzwungen, oder „eingeſchraͤnkt werden, eine begrifloſe Sache „iſt; daß kein Fall zu erdenken, wodurch ſo ein „Geſetz gegruͤndet ſey, daß die Kunſt nichts ſchaf- „fen koͤnne, wozu die Natur nicht den Keim her- „vorgebracht habe — aber ſo vernunftmaͤßig die- „ſes alles ſeyn mag, was ſie daruͤber ſagen, „ redet er mich an, „ſo geradezu widerſpricht es „dem Glauben ihrer Vaͤter im engern Verſtan- „de, und den Grundſaͤtzen der Kirche, welche nicht „blos von den Kommentariſten angenommen; „ſondern ſelbſt in den Buͤchern Moſe ausdruͤk- „lich feſtgeſetzt ſind. Nach der geſunden Ver- „nunft findet gar kein Gottesdienſt ohne Ueber- „zeugung ſtatt, und jede erzwungene gottes- „dienſtliche Handlung hoͤrt das auf zu ſeyn. Be- „folgung goͤttlicher Gebote aus Furcht vor der „darauf geſetzten Strafe iſt Sklavendienſt, der „nach reinen Begriffen nimmermehr Gott ge- „faͤllig *) Das Forſchen nach Licht und Recht, in einem Schreiben an Herrn M. Mendelsſohn Berlin 1782.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/122
Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/122>, abgerufen am 23.11.2024.