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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Allmacht konnte andere Gesetze an ihrer Stelle
einführen, und kann, so oft es nützlich ist, Aus-
nahmen Statt finden lassen.

Außer diesen ewigen Wahrheiten giebt es
noch Zeitliche, Geschichtswahrheiten; Dinge,
die sich zu Einer Zeit zugetragen, und vielleicht
niemals wiederkommen; Sätze, die durch einen
Zusammenfluß von Ursachen und Wirkungen in
einem Punkte der Zeit und des Raumes wahr
geworden, und also von diesem Punkte der Zeit
und des Raumes nur als wahr gedacht werden
können. Von dieser Art sind alle Wahrheiten
der Geschichte, in ihrem weitesten Umfange. Din-
ge der Vorwelt, die sich einst zngetragen, und
uns erzählt werden, die wir aber selbst nie wahr-
nehmen können.

So wie diese Classen der Sätze und Wahr-
heiten ihrer Natur nach verschieden sind, so
sind sie es auch in Ansehung ihrer Ueberzeu-
gungsmittel, oder in der Art und Weise, wie
die Menschen sich und andere davon überführen.
Die Lehren der ersten Gattung, oder die noth-
wendigen Wahrheiten gründen sich auf Ver-
nunft
, d. i. auf unveränderlichen Zusammen-

hang,

Allmacht konnte andere Geſetze an ihrer Stelle
einfuͤhren, und kann, ſo oft es nuͤtzlich iſt, Aus-
nahmen Statt finden laſſen.

Außer dieſen ewigen Wahrheiten giebt es
noch Zeitliche, Geſchichtswahrheiten; Dinge,
die ſich zu Einer Zeit zugetragen, und vielleicht
niemals wiederkommen; Saͤtze, die durch einen
Zuſammenfluß von Urſachen und Wirkungen in
einem Punkte der Zeit und des Raumes wahr
geworden, und alſo von dieſem Punkte der Zeit
und des Raumes nur als wahr gedacht werden
koͤnnen. Von dieſer Art ſind alle Wahrheiten
der Geſchichte, in ihrem weiteſten Umfange. Din-
ge der Vorwelt, die ſich einſt zngetragen, und
uns erzaͤhlt werden, die wir aber ſelbſt nie wahr-
nehmen koͤnnen.

So wie dieſe Claſſen der Saͤtze und Wahr-
heiten ihrer Natur nach verſchieden ſind, ſo
ſind ſie es auch in Anſehung ihrer Ueberzeu-
gungsmittel, oder in der Art und Weiſe, wie
die Menſchen ſich und andere davon uͤberfuͤhren.
Die Lehren der erſten Gattung, oder die noth-
wendigen Wahrheiten gruͤnden ſich auf Ver-
nunft
, d. i. auf unveraͤnderlichen Zuſammen-

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[34/0136] Allmacht konnte andere Geſetze an ihrer Stelle einfuͤhren, und kann, ſo oft es nuͤtzlich iſt, Aus- nahmen Statt finden laſſen. Außer dieſen ewigen Wahrheiten giebt es noch Zeitliche, Geſchichtswahrheiten; Dinge, die ſich zu Einer Zeit zugetragen, und vielleicht niemals wiederkommen; Saͤtze, die durch einen Zuſammenfluß von Urſachen und Wirkungen in einem Punkte der Zeit und des Raumes wahr geworden, und alſo von dieſem Punkte der Zeit und des Raumes nur als wahr gedacht werden koͤnnen. Von dieſer Art ſind alle Wahrheiten der Geſchichte, in ihrem weiteſten Umfange. Din- ge der Vorwelt, die ſich einſt zngetragen, und uns erzaͤhlt werden, die wir aber ſelbſt nie wahr- nehmen koͤnnen. So wie dieſe Claſſen der Saͤtze und Wahr- heiten ihrer Natur nach verſchieden ſind, ſo ſind ſie es auch in Anſehung ihrer Ueberzeu- gungsmittel, oder in der Art und Weiſe, wie die Menſchen ſich und andere davon uͤberfuͤhren. Die Lehren der erſten Gattung, oder die noth- wendigen Wahrheiten gruͤnden ſich auf Ver- nunft, d. i. auf unveraͤnderlichen Zuſammen- hang,

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/136>, abgerufen am 23.11.2024.