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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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hang, und wesentliche Verbindung zwischen den
Begriffen, vermöge welcher sie sich einander ent-
weder voraussetzen, oder ausschließen. Von
dieser Art sind alle mathematische und logische
Beweise. Sie zeigen alle die Möglichkeit, oder
Unmöglichkeit, gewisse Begriffe in Verbindung
zu denken. Wer seinen Nebenmenschen davon
unterrichten will, muß sie nicht seinem Glauben
empfehlen, sondern seiner Vernunft gleichsam
aufdringen; nicht Autoritäten anführen, und
sich auf die Glaubwürdigkeit der Männer beru-
fen, die eben dasselbe behauptet haben; sondern
die Begriffe selbst in ihre Merkmale zerlegen,
und seinem Lehrling stückweise so lange vorhal-
ten, bis sein innerer Sinn ihre Fugen und Ver-
bindungen wahrnimmt. Der Unterricht, den
wir hierin andern geben können, bestehet, wie
Sokrates gar wohl gesagt, blos in einer Art
von Geburtshülfe. Wir können nichts in ihren
Geist hineinlegen, das er nicht schon wirklich
hat; aber wir können ihm die Anstrengung er-
leichtern, die es kostet, das Verborgene an das
Licht zu bringen; das heißt, das Unbemerkte
bemerkbar und anschaulich zu machen.

Zu
C 2

hang, und weſentliche Verbindung zwiſchen den
Begriffen, vermoͤge welcher ſie ſich einander ent-
weder vorausſetzen, oder ausſchließen. Von
dieſer Art ſind alle mathematiſche und logiſche
Beweiſe. Sie zeigen alle die Moͤglichkeit, oder
Unmoͤglichkeit, gewiſſe Begriffe in Verbindung
zu denken. Wer ſeinen Nebenmenſchen davon
unterrichten will, muß ſie nicht ſeinem Glauben
empfehlen, ſondern ſeiner Vernunft gleichſam
aufdringen; nicht Autoritaͤten anfuͤhren, und
ſich auf die Glaubwuͤrdigkeit der Maͤnner beru-
fen, die eben daſſelbe behauptet haben; ſondern
die Begriffe ſelbſt in ihre Merkmale zerlegen,
und ſeinem Lehrling ſtuͤckweiſe ſo lange vorhal-
ten, bis ſein innerer Sinn ihre Fugen und Ver-
bindungen wahrnimmt. Der Unterricht, den
wir hierin andern geben koͤnnen, beſtehet, wie
Sokrates gar wohl geſagt, blos in einer Art
von Geburtshuͤlfe. Wir koͤnnen nichts in ihren
Geiſt hineinlegen, das er nicht ſchon wirklich
hat; aber wir koͤnnen ihm die Anſtrengung er-
leichtern, die es koſtet, das Verborgene an das
Licht zu bringen; das heißt, das Unbemerkte
bemerkbar und anſchaulich zu machen.

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[35/0137] hang, und weſentliche Verbindung zwiſchen den Begriffen, vermoͤge welcher ſie ſich einander ent- weder vorausſetzen, oder ausſchließen. Von dieſer Art ſind alle mathematiſche und logiſche Beweiſe. Sie zeigen alle die Moͤglichkeit, oder Unmoͤglichkeit, gewiſſe Begriffe in Verbindung zu denken. Wer ſeinen Nebenmenſchen davon unterrichten will, muß ſie nicht ſeinem Glauben empfehlen, ſondern ſeiner Vernunft gleichſam aufdringen; nicht Autoritaͤten anfuͤhren, und ſich auf die Glaubwuͤrdigkeit der Maͤnner beru- fen, die eben daſſelbe behauptet haben; ſondern die Begriffe ſelbſt in ihre Merkmale zerlegen, und ſeinem Lehrling ſtuͤckweiſe ſo lange vorhal- ten, bis ſein innerer Sinn ihre Fugen und Ver- bindungen wahrnimmt. Der Unterricht, den wir hierin andern geben koͤnnen, beſtehet, wie Sokrates gar wohl geſagt, blos in einer Art von Geburtshuͤlfe. Wir koͤnnen nichts in ihren Geiſt hineinlegen, das er nicht ſchon wirklich hat; aber wir koͤnnen ihm die Anſtrengung er- leichtern, die es koſtet, das Verborgene an das Licht zu bringen; das heißt, das Unbemerkte bemerkbar und anſchaulich zu machen. Zu C 2

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/137>, abgerufen am 27.11.2024.