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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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So oft es nun den Absichten Gottes gemäß
ist, daß die Menschen von irgend einer Wahr-
heit überführt seyn sollen; so verleihet ihnen sei-
ne Weisheit auch die schicklichsten Mittel, zu dersel-
ben zu gelangen. Ist es eine nothwendige
Wahrheit, so verleihet sie den dazu erforderli-
chen Grad der Vernunft. Soll ihnen ein Na-
turgesetz bekannt werden, so giebt sie ihnen den
Geist der Beobachtung; und soll eine Geschichts-
wahrheit der Nachwelt aufbehalten werden, so
bestätiget sie ihre historische Gewißheit, und sez-
zet die Glaubwürdigkeit der Erzähler über alle
Zweifel hinweg. Blos in Absicht auf Geschichts-
wahrheiten, dünkt mich, sey es der allerhöch-
sten Weisheit anständig, die Menschen auf
menschliche Weise, d. i. durch Worte und
Schrift zu unterrichten, und wo es zur Bewäh-
rung des Ansehens und der Glaubwürdigkeit er-
forderlich war, ausserordentliche Dinge und
Wunder in der Natur geschehen zu lassen. Jene
ewigen Wahrheiten hingegen, in so weit sie zum
Heile und zur Glückseligkeit der Menschen nütz-
lich sind, lehret Gott auf eine der Gottheit ge-
mäßere Weise: nicht durch Laur und Schrift-

zeichen,
C 4

So oft es nun den Abſichten Gottes gemaͤß
iſt, daß die Menſchen von irgend einer Wahr-
heit uͤberfuͤhrt ſeyn ſollen; ſo verleihet ihnen ſei-
ne Weisheit auch die ſchicklichſten Mittel, zu derſel-
ben zu gelangen. Iſt es eine nothwendige
Wahrheit, ſo verleihet ſie den dazu erforderli-
chen Grad der Vernunft. Soll ihnen ein Na-
turgeſetz bekannt werden, ſo giebt ſie ihnen den
Geiſt der Beobachtung; und ſoll eine Geſchichts-
wahrheit der Nachwelt aufbehalten werden, ſo
beſtaͤtiget ſie ihre hiſtoriſche Gewißheit, und ſez-
zet die Glaubwuͤrdigkeit der Erzaͤhler uͤber alle
Zweifel hinweg. Blos in Abſicht auf Geſchichts-
wahrheiten, duͤnkt mich, ſey es der allerhoͤch-
ſten Weisheit anſtaͤndig, die Menſchen auf
menſchliche Weiſe, d. i. durch Worte und
Schrift zu unterrichten, und wo es zur Bewaͤh-
rung des Anſehens und der Glaubwuͤrdigkeit er-
forderlich war, auſſerordentliche Dinge und
Wunder in der Natur geſchehen zu laſſen. Jene
ewigen Wahrheiten hingegen, in ſo weit ſie zum
Heile und zur Gluͤckſeligkeit der Menſchen nuͤtz-
lich ſind, lehret Gott auf eine der Gottheit ge-
maͤßere Weiſe: nicht durch Laur und Schrift-

zeichen,
C 4
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[39/0141] So oft es nun den Abſichten Gottes gemaͤß iſt, daß die Menſchen von irgend einer Wahr- heit uͤberfuͤhrt ſeyn ſollen; ſo verleihet ihnen ſei- ne Weisheit auch die ſchicklichſten Mittel, zu derſel- ben zu gelangen. Iſt es eine nothwendige Wahrheit, ſo verleihet ſie den dazu erforderli- chen Grad der Vernunft. Soll ihnen ein Na- turgeſetz bekannt werden, ſo giebt ſie ihnen den Geiſt der Beobachtung; und ſoll eine Geſchichts- wahrheit der Nachwelt aufbehalten werden, ſo beſtaͤtiget ſie ihre hiſtoriſche Gewißheit, und ſez- zet die Glaubwuͤrdigkeit der Erzaͤhler uͤber alle Zweifel hinweg. Blos in Abſicht auf Geſchichts- wahrheiten, duͤnkt mich, ſey es der allerhoͤch- ſten Weisheit anſtaͤndig, die Menſchen auf menſchliche Weiſe, d. i. durch Worte und Schrift zu unterrichten, und wo es zur Bewaͤh- rung des Anſehens und der Glaubwuͤrdigkeit er- forderlich war, auſſerordentliche Dinge und Wunder in der Natur geſchehen zu laſſen. Jene ewigen Wahrheiten hingegen, in ſo weit ſie zum Heile und zur Gluͤckſeligkeit der Menſchen nuͤtz- lich ſind, lehret Gott auf eine der Gottheit ge- maͤßere Weiſe: nicht durch Laur und Schrift- zeichen, C 4

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/141>, abgerufen am 23.11.2024.