ner öffentlichen Versamlung sich eine muthwil- lige Jugend über einen Alten lustig gemacht hatte. Wir brauchen des erfahrnen Mannes nicht, wir brauchen nur seine Schriften. Mit einem Worte, wir sind litterati,Buchstaben- menschen. Vom Buchstaben hängt unser gan- zes Wesen ab, und wir können kaum begreifen, wie ein Erdensohn sich bilden, und vervollkomm- nen kann, ohne Buch.
So war es nicht in den grauen Tagen der Vorwelt. Kann man nun schon nicht sagen, es war besser; so war es doch sicherlich anders. Man schöpfte aus andern Quellen, sammlete und erhielt in andern Gefäßen, und vereinzelte das Aufbewahrte durch ganz andere Mittel. Der Mensch war dem Menschen nothwendiger; die Lehre war genauer mit dem Leben, Betrach- tung inniger mit Handlung verbunden. Der Unerfahrne mußte dem Erfahrnen, der Schüler seinem Lehrer auf dem Fuße nachfolgen, seinen Umgang suchen, ihn beobachten, und gleichsam ausholen, wenn er seine Wißbegierde befriedi- gen wollte. Um deutlicher zu zeigen, was die- ser Umstand für Einfluß auf Religion und Sit-
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ner oͤffentlichen Verſamlung ſich eine muthwil- lige Jugend uͤber einen Alten luſtig gemacht hatte. Wir brauchen des erfahrnen Mannes nicht, wir brauchen nur ſeine Schriften. Mit einem Worte, wir ſind litterati,Buchſtaben- menſchen. Vom Buchſtaben haͤngt unſer gan- zes Weſen ab, und wir koͤnnen kaum begreifen, wie ein Erdenſohn ſich bilden, und vervollkomm- nen kann, ohne Buch.
So war es nicht in den grauen Tagen der Vorwelt. Kann man nun ſchon nicht ſagen, es war beſſer; ſo war es doch ſicherlich anders. Man ſchoͤpfte aus andern Quellen, ſammlete und erhielt in andern Gefaͤßen, und vereinzelte das Aufbewahrte durch ganz andere Mittel. Der Menſch war dem Menſchen nothwendiger; die Lehre war genauer mit dem Leben, Betrach- tung inniger mit Handlung verbunden. Der Unerfahrne mußte dem Erfahrnen, der Schuͤler ſeinem Lehrer auf dem Fuße nachfolgen, ſeinen Umgang ſuchen, ihn beobachten, und gleichſam ausholen, wenn er ſeine Wißbegierde befriedi- gen wollte. Um deutlicher zu zeigen, was die- ſer Umſtand fuͤr Einfluß auf Religion und Sit-
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ner oͤffentlichen Verſamlung ſich eine muthwil-
lige Jugend uͤber einen Alten luſtig gemacht
hatte. Wir brauchen des erfahrnen Mannes
nicht, wir brauchen nur ſeine Schriften. Mit
einem Worte, wir ſind litterati, Buchſtaben-
menſchen. Vom Buchſtaben haͤngt unſer gan-
zes Weſen ab, und wir koͤnnen kaum begreifen,
wie ein Erdenſohn ſich bilden, und vervollkomm-
nen kann, ohne Buch.
So war es nicht in den grauen Tagen der
Vorwelt. Kann man nun ſchon nicht ſagen,
es war beſſer; ſo war es doch ſicherlich anders.
Man ſchoͤpfte aus andern Quellen, ſammlete
und erhielt in andern Gefaͤßen, und vereinzelte
das Aufbewahrte durch ganz andere Mittel.
Der Menſch war dem Menſchen nothwendiger;
die Lehre war genauer mit dem Leben, Betrach-
tung inniger mit Handlung verbunden. Der
Unerfahrne mußte dem Erfahrnen, der Schuͤler
ſeinem Lehrer auf dem Fuße nachfolgen, ſeinen
Umgang ſuchen, ihn beobachten, und gleichſam
ausholen, wenn er ſeine Wißbegierde befriedi-
gen wollte. Um deutlicher zu zeigen, was die-
ſer Umſtand fuͤr Einfluß auf Religion und Sit-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/165>, abgerufen am 16.07.2024.
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