sen. Und wir haben gesehen, wie ein so un- schuldiges Ding, eine blosse Schriftart, in den Händen der Menschen gar bald ausarten, und in Abgötterey übergehen kann. Natürlich also wird alle ursprüngliche Abgötterey mehr Thier- dienst, als Menschendienst seyn. Menschen konnten zur Bezeichnung göttlicher Eigenschaf- ten gar nicht gebraucht werden, und die Vergöt- terung derselben mußte von einer ganz andern Seite kommen. Es mußten etwan Helden und Eroberer, oder Weise, Gesetzgeber und Prophe- ten aus einer glücklichen und früher gebildeten Weltgegend herüber gekommen seyn, und sich durch außerordentliche Talente so hervorgethan, so erhaben gezeigt haben, daß man sie als Boten der Gottheit, oder als die Gottheit selbst verehr- te. Daß dieses aber weit füglicher bey Natio- nen eintreffen kann, die ihre Kultur nicht sich selbst, sondern andern zu verdanken haben, läßt sich leicht begreifen; weil, wie das gemeine Sprichwort lautet, ein Prophet in seiner Heimat selten zu außerordentlichem Ansehen ge- langet. -- Und sonach wäre die Bemerkung des Herrn Meiners, eine Art von Bestätigung
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ſen. Und wir haben geſehen, wie ein ſo un- ſchuldiges Ding, eine bloſſe Schriftart, in den Haͤnden der Menſchen gar bald ausarten, und in Abgoͤtterey uͤbergehen kann. Natuͤrlich alſo wird alle urſpruͤngliche Abgoͤtterey mehr Thier- dienſt, als Menſchendienſt ſeyn. Menſchen konnten zur Bezeichnung goͤttlicher Eigenſchaf- ten gar nicht gebraucht werden, und die Vergoͤt- terung derſelben mußte von einer ganz andern Seite kommen. Es mußten etwan Helden und Eroberer, oder Weiſe, Geſetzgeber und Prophe- ten aus einer gluͤcklichen und fruͤher gebildeten Weltgegend heruͤber gekommen ſeyn, und ſich durch außerordentliche Talente ſo hervorgethan, ſo erhaben gezeigt haben, daß man ſie als Boten der Gottheit, oder als die Gottheit ſelbſt verehr- te. Daß dieſes aber weit fuͤglicher bey Natio- nen eintreffen kann, die ihre Kultur nicht ſich ſelbſt, ſondern andern zu verdanken haben, laͤßt ſich leicht begreifen; weil, wie das gemeine Sprichwort lautet, ein Prophet in ſeiner Heimat ſelten zu außerordentlichem Anſehen ge- langet. — Und ſonach waͤre die Bemerkung des Herrn Meiners, eine Art von Beſtaͤtigung
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ſen. Und wir haben geſehen, wie ein ſo un-
ſchuldiges Ding, eine bloſſe Schriftart, in den
Haͤnden der Menſchen gar bald ausarten, und
in Abgoͤtterey uͤbergehen kann. Natuͤrlich alſo
wird alle urſpruͤngliche Abgoͤtterey mehr Thier-
dienſt, als Menſchendienſt ſeyn. Menſchen
konnten zur Bezeichnung goͤttlicher Eigenſchaf-
ten gar nicht gebraucht werden, und die Vergoͤt-
terung derſelben mußte von einer ganz andern
Seite kommen. Es mußten etwan Helden und
Eroberer, oder Weiſe, Geſetzgeber und Prophe-
ten aus einer gluͤcklichen und fruͤher gebildeten
Weltgegend heruͤber gekommen ſeyn, und ſich
durch außerordentliche Talente ſo hervorgethan,
ſo erhaben gezeigt haben, daß man ſie als Boten
der Gottheit, oder als die Gottheit ſelbſt verehr-
te. Daß dieſes aber weit fuͤglicher bey Natio-
nen eintreffen kann, die ihre Kultur nicht ſich
ſelbſt, ſondern andern zu verdanken haben, laͤßt
ſich leicht begreifen; weil, wie das gemeine
Sprichwort lautet, ein Prophet in ſeiner
Heimat ſelten zu außerordentlichem Anſehen ge-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/185>, abgerufen am 16.02.2025.
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