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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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zu verehren, rief er: morgen sey dem Ewi-
gen zu Ehren ein Fest
! Aber am Festtage,
beym Tanz und Schmause, ließ der Pödel ganz
andere Worte hören: dieses sind deine Göt-
ter, Israel! die dich aus Aegypten geführt
haben
! Nun war das Fundamentalgesetz über-
treten, das Band der Nation aufgelöset. Ver-
nünstige Vorstellungen fruchten selten bey ei-
nem aufgewiegelten Pöbel, wenn die Unord-
nung erst eingerissen, und man weis zu welchen
harten Maaßregeln der göttliche Gesetzgeber
sich hat entschließen müssen, das aufrührische
Gesindel wieder zum Gehorsam zu bringen. Es
verdienet indessen angemerkt, und bewundert
zu werden, was die Vorsehung Gottes aus die-
sem unglücklichen Vorfalle selbst für Vortheil
zu ziehen, zu welcher erhabenen und ganz ih-
rer würdigen Absicht sie ihn anzuwenden ge-
wußt hat?

Ich habe bereits oben angeführt, daß das
Heidentum von der Macht der Gottheit noch
erträglichere Begriffe gehabt, als von ihrer
Güte. Der gemeine Mann hält Güte und
Leichtversöhnlichkeit für Schwachheit. Er be-

nei-
G 2

zu verehren, rief er: morgen ſey dem Ewi-
gen zu Ehren ein Feſt
! Aber am Feſttage,
beym Tanz und Schmauſe, ließ der Poͤdel ganz
andere Worte hoͤren: dieſes ſind deine Goͤt-
ter, Iſrael! die dich aus Aegypten gefuͤhrt
haben
! Nun war das Fundamentalgeſetz uͤber-
treten, das Band der Nation aufgeloͤſet. Ver-
nuͤnſtige Vorſtellungen fruchten ſelten bey ei-
nem aufgewiegelten Poͤbel, wenn die Unord-
nung erſt eingeriſſen, und man weis zu welchen
harten Maaßregeln der goͤttliche Geſetzgeber
ſich hat entſchließen muͤſſen, das aufruͤhriſche
Geſindel wieder zum Gehorſam zu bringen. Es
verdienet indeſſen angemerkt, und bewundert
zu werden, was die Vorſehung Gottes aus die-
ſem ungluͤcklichen Vorfalle ſelbſt fuͤr Vortheil
zu ziehen, zu welcher erhabenen und ganz ih-
rer wuͤrdigen Abſicht ſie ihn anzuwenden ge-
wußt hat?

Ich habe bereits oben angefuͤhrt, daß das
Heidentum von der Macht der Gottheit noch
ertraͤglichere Begriffe gehabt, als von ihrer
Guͤte. Der gemeine Mann haͤlt Guͤte und
Leichtverſoͤhnlichkeit fuͤr Schwachheit. Er be-

nei-
G 2
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[99/0201] zu verehren, rief er: morgen ſey dem Ewi- gen zu Ehren ein Feſt! Aber am Feſttage, beym Tanz und Schmauſe, ließ der Poͤdel ganz andere Worte hoͤren: dieſes ſind deine Goͤt- ter, Iſrael! die dich aus Aegypten gefuͤhrt haben! Nun war das Fundamentalgeſetz uͤber- treten, das Band der Nation aufgeloͤſet. Ver- nuͤnſtige Vorſtellungen fruchten ſelten bey ei- nem aufgewiegelten Poͤbel, wenn die Unord- nung erſt eingeriſſen, und man weis zu welchen harten Maaßregeln der goͤttliche Geſetzgeber ſich hat entſchließen muͤſſen, das aufruͤhriſche Geſindel wieder zum Gehorſam zu bringen. Es verdienet indeſſen angemerkt, und bewundert zu werden, was die Vorſehung Gottes aus die- ſem ungluͤcklichen Vorfalle ſelbſt fuͤr Vortheil zu ziehen, zu welcher erhabenen und ganz ih- rer wuͤrdigen Abſicht ſie ihn anzuwenden ge- wußt hat? Ich habe bereits oben angefuͤhrt, daß das Heidentum von der Macht der Gottheit noch ertraͤglichere Begriffe gehabt, als von ihrer Guͤte. Der gemeine Mann haͤlt Guͤte und Leichtverſoͤhnlichkeit fuͤr Schwachheit. Er be- nei- G 2

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/201>, abgerufen am 21.11.2024.