Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.neidet jeden um dem mindesten Vorzug an Hat man erst dieses einsehen gelernt, so weit
neidet jeden um dem mindeſten Vorzug an Hat man erſt dieſes einſehen gelernt, ſo weit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0202" n="100"/> neidet jeden um dem mindeſten Vorzug an<lb/> Macht, Reichtum, Schoͤnheit, Ehre u. ſ. w.,<lb/> nur nicht um den Vorzug an Guͤtigkeit. Und<lb/> wie kann er auch dieſes, da es doch groͤßten-<lb/> theils nur von ihm ſelbſt abhaͤngt, den Grad<lb/> von Sanftmuth zu erlangen, den er beneidens-<lb/> werth findet? Es gehoͤrt Nachſinnen dazu,<lb/> wenn wir begreifen ſollen, daß Haß und Rach-<lb/> ſucht, Neid und Grauſamkeit, im Grunde<lb/> nichts anders als <hi rendition="#fr">Schwachheit</hi>, lediglich Wir-<lb/> kungen der Furcht ſind. Furcht, mit zufaͤlliger,<lb/> unſicherer Ueberlegenheit verbunden, iſt die Mut-<lb/> ter aller dieſer barbariſchen Geſinnungen. Nur<lb/> die Furcht macht grauſam und unverſoͤhnlich.<lb/> Wer ſich ſeiner Ueberlegenheit mit Sicherheit<lb/> bewußt iſt, findet weit groͤßre Gluͤckſeligkeit in<lb/> Nachſicht und Verzeihung.</p><lb/> <p>Hat man erſt dieſes einſehen gelernt, ſo<lb/> kann man nicht laͤnger Anſtand nehmen, Liebe<lb/> fuͤr einen wenigſtens eben ſo erhabenen Vorzug<lb/> zu halten als Macht, und dem allerhoͤchſten We-<lb/> ſen, dem man Allmacht zuſchreibt, auch Allguͤ-<lb/> tigkeit zuzutrauen; den Gott der Staͤrke auch<lb/> fuͤr den Gott der Liebe zu erkennen. Aber wie<lb/> <fw place="bottom" type="catch">weit</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0202]
neidet jeden um dem mindeſten Vorzug an
Macht, Reichtum, Schoͤnheit, Ehre u. ſ. w.,
nur nicht um den Vorzug an Guͤtigkeit. Und
wie kann er auch dieſes, da es doch groͤßten-
theils nur von ihm ſelbſt abhaͤngt, den Grad
von Sanftmuth zu erlangen, den er beneidens-
werth findet? Es gehoͤrt Nachſinnen dazu,
wenn wir begreifen ſollen, daß Haß und Rach-
ſucht, Neid und Grauſamkeit, im Grunde
nichts anders als Schwachheit, lediglich Wir-
kungen der Furcht ſind. Furcht, mit zufaͤlliger,
unſicherer Ueberlegenheit verbunden, iſt die Mut-
ter aller dieſer barbariſchen Geſinnungen. Nur
die Furcht macht grauſam und unverſoͤhnlich.
Wer ſich ſeiner Ueberlegenheit mit Sicherheit
bewußt iſt, findet weit groͤßre Gluͤckſeligkeit in
Nachſicht und Verzeihung.
Hat man erſt dieſes einſehen gelernt, ſo
kann man nicht laͤnger Anſtand nehmen, Liebe
fuͤr einen wenigſtens eben ſo erhabenen Vorzug
zu halten als Macht, und dem allerhoͤchſten We-
ſen, dem man Allmacht zuſchreibt, auch Allguͤ-
tigkeit zuzutrauen; den Gott der Staͤrke auch
fuͤr den Gott der Liebe zu erkennen. Aber wie
weit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |