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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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auf den großen Gedanken, den unsere Rabbinen
darin gefunden, daß auch dieses eine Eigen-
schaft der göttlichen Liebe sey, dem Men-
schen nichts ohne alle Ahndung hingehen
zu lassen
.

Ein verehrungswürdiger Freund, mit dem
ich mich einst in Religionssachen unterhielt, legte
mir die Frage vor: ob ich nicht wünschte,
durch eine unmittelbare Offenbarung die
Versicherung zu haben, daß ich in der Zu-
kunft nicht elend seyn würde?
Wir stimme-
ten beide darin überein, daß ich keine ewige Höl-
lenstrafe zu fürchten hätte; denn Gott kann kei-
nes seiner Geschöpfe unaufhörlich elend seyn
lassen. So kann auch kein Geschöpf durch seine
Handlungen die Strafe verdienen, ewig elend
zu seyn. Daß die Strafe für die Sünde der be-
leidigten Majestät Gottes angemessen, und also
unendlich seyn müsse, diese Hypothese hatte mein
Freund, mit vielen großen Männern seiner Kir-
che, längst aufgegeben, und hierüber hatten
wir uns nicht mehr zu streiten. Der nur zur
Hälfte richtige Begrif von Pflichten gegen
Gott
, hat den eben so schwankenden Begrif

von
G 5

auf den großen Gedanken, den unſere Rabbinen
darin gefunden, daß auch dieſes eine Eigen-
ſchaft der goͤttlichen Liebe ſey, dem Men-
ſchen nichts ohne alle Ahndung hingehen
zu laſſen
.

Ein verehrungswuͤrdiger Freund, mit dem
ich mich einſt in Religionsſachen unterhielt, legte
mir die Frage vor: ob ich nicht wuͤnſchte,
durch eine unmittelbare Offenbarung die
Verſicherung zu haben, daß ich in der Zu-
kunft nicht elend ſeyn wuͤrde?
Wir ſtimme-
ten beide darin uͤberein, daß ich keine ewige Hoͤl-
lenſtrafe zu fuͤrchten haͤtte; denn Gott kann kei-
nes ſeiner Geſchoͤpfe unaufhoͤrlich elend ſeyn
laſſen. So kann auch kein Geſchoͤpf durch ſeine
Handlungen die Strafe verdienen, ewig elend
zu ſeyn. Daß die Strafe fuͤr die Suͤnde der be-
leidigten Majeſtaͤt Gottes angemeſſen, und alſo
unendlich ſeyn muͤſſe, dieſe Hypotheſe hatte mein
Freund, mit vielen großen Maͤnnern ſeiner Kir-
che, laͤngſt aufgegeben, und hieruͤber hatten
wir uns nicht mehr zu ſtreiten. Der nur zur
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Gott
, hat den eben ſo ſchwankenden Begrif

von
G 5
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[105/0207] auf den großen Gedanken, den unſere Rabbinen darin gefunden, daß auch dieſes eine Eigen- ſchaft der goͤttlichen Liebe ſey, dem Men- ſchen nichts ohne alle Ahndung hingehen zu laſſen. Ein verehrungswuͤrdiger Freund, mit dem ich mich einſt in Religionsſachen unterhielt, legte mir die Frage vor: ob ich nicht wuͤnſchte, durch eine unmittelbare Offenbarung die Verſicherung zu haben, daß ich in der Zu- kunft nicht elend ſeyn wuͤrde? Wir ſtimme- ten beide darin uͤberein, daß ich keine ewige Hoͤl- lenſtrafe zu fuͤrchten haͤtte; denn Gott kann kei- nes ſeiner Geſchoͤpfe unaufhoͤrlich elend ſeyn laſſen. So kann auch kein Geſchoͤpf durch ſeine Handlungen die Strafe verdienen, ewig elend zu ſeyn. Daß die Strafe fuͤr die Suͤnde der be- leidigten Majeſtaͤt Gottes angemeſſen, und alſo unendlich ſeyn muͤſſe, dieſe Hypotheſe hatte mein Freund, mit vielen großen Maͤnnern ſeiner Kir- che, laͤngſt aufgegeben, und hieruͤber hatten wir uns nicht mehr zu ſtreiten. Der nur zur Haͤlfte richtige Begrif von Pflichten gegen Gott, hat den eben ſo ſchwankenden Begrif von G 5

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/207>, abgerufen am 24.11.2024.