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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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sind sie ein Gegenstand der bürgerlichen Verfas-
sung; in so weit aber die Verhältnisse der Men-
schen gegen Gott, als Quelle derselben ange-
nommen werden, gehören sie für die Kirche,
Synagoge oder Moschee. Man liest in so man-
chen Lehrbüchern des sogenannten Kirchenrechts
ernsthafte Untersuchungen: ob auch Juden, Ketzer
und Irrgläubige eine Kirche haben können. Nach
den unermeßlichen Vorrechten, die die soge-
nannte Kirche sich anzumaßen pflegt, ist die
Frage so ungereimt nicht, als sie einem unbefan-
genen Leser scheinen muß. Mir kömmt es aber,
wie leicht zu erachten, auf diesen Unterschied der
Benennung nicht an. Oeffentliche Anstalten zur
Bildung des Menschen, die sich auf Verhältnisse
des Menschen zu Gott beziehen, nenne ich Kir-
che
; -- zum Menschen, Staat. Unter Bildung
des Menschen verstehe ich die Bemühung, bei-
des, Gesinnungen und Handlungen so einzurich-
ten, daß sie zur Glückseligkeit übereinstimmen;
die Menschen erziehen und regieren.

Heil dem Staate, dem es gelinget, das
Volk durch die Erziehung selbst zu regieren; das
heißt, ihm solche Sitten und Gesinnungen ein-
zuflößen, die von selbst zu gemeinnützigen Hand-

lungen

ſind ſie ein Gegenſtand der buͤrgerlichen Verfaſ-
ſung; in ſo weit aber die Verhaͤltniſſe der Men-
ſchen gegen Gott, als Quelle derſelben ange-
nommen werden, gehoͤren ſie fuͤr die Kirche,
Synagoge oder Moſchee. Man lieſt in ſo man-
chen Lehrbuͤchern des ſogenannten Kirchenrechts
ernſthafte Unterſuchungen: ob auch Juden, Ketzer
und Irrglaͤubige eine Kirche haben koͤnnen. Nach
den unermeßlichen Vorrechten, die die ſoge-
nannte Kirche ſich anzumaßen pflegt, iſt die
Frage ſo ungereimt nicht, als ſie einem unbefan-
genen Leſer ſcheinen muß. Mir koͤmmt es aber,
wie leicht zu erachten, auf dieſen Unterſchied der
Benennung nicht an. Oeffentliche Anſtalten zur
Bildung des Menſchen, die ſich auf Verhaͤltniſſe
des Menſchen zu Gott beziehen, nenne ich Kir-
che
; — zum Menſchen, Staat. Unter Bildung
des Menſchen verſtehe ich die Bemuͤhung, bei-
des, Geſinnungen und Handlungen ſo einzurich-
ten, daß ſie zur Gluͤckſeligkeit uͤbereinſtimmen;
die Menſchen erziehen und regieren.

Heil dem Staate, dem es gelinget, das
Volk durch die Erziehung ſelbſt zu regieren; das
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zufloͤßen, die von ſelbſt zu gemeinnuͤtzigen Hand-

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[20/0026] ſind ſie ein Gegenſtand der buͤrgerlichen Verfaſ- ſung; in ſo weit aber die Verhaͤltniſſe der Men- ſchen gegen Gott, als Quelle derſelben ange- nommen werden, gehoͤren ſie fuͤr die Kirche, Synagoge oder Moſchee. Man lieſt in ſo man- chen Lehrbuͤchern des ſogenannten Kirchenrechts ernſthafte Unterſuchungen: ob auch Juden, Ketzer und Irrglaͤubige eine Kirche haben koͤnnen. Nach den unermeßlichen Vorrechten, die die ſoge- nannte Kirche ſich anzumaßen pflegt, iſt die Frage ſo ungereimt nicht, als ſie einem unbefan- genen Leſer ſcheinen muß. Mir koͤmmt es aber, wie leicht zu erachten, auf dieſen Unterſchied der Benennung nicht an. Oeffentliche Anſtalten zur Bildung des Menſchen, die ſich auf Verhaͤltniſſe des Menſchen zu Gott beziehen, nenne ich Kir- che; — zum Menſchen, Staat. Unter Bildung des Menſchen verſtehe ich die Bemuͤhung, bei- des, Geſinnungen und Handlungen ſo einzurich- ten, daß ſie zur Gluͤckſeligkeit uͤbereinſtimmen; die Menſchen erziehen und regieren. Heil dem Staate, dem es gelinget, das Volk durch die Erziehung ſelbſt zu regieren; das heißt, ihm ſolche Sitten und Geſinnungen ein- zufloͤßen, die von ſelbſt zu gemeinnuͤtzigen Hand- lungen

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/26>, abgerufen am 03.05.2024.