das Gewissen rege gemacht werden. Der itzt vor Gericht läugnet, besitzet vielleicht fremdes Gut, ohne die entschlossene Bosheit, unge- recht seyn zu wollen. Er kann solches ver- zehrt, oder haben von Händen kommen las- sen, und will voritzt durch das Abläugnen nur Zeit gewinnen; und so wird vielleicht der gute Geist, der für die Gerechtigkeit in ihm kämpft, von Tag zu Tag abgewiesen, bis er ermüdet, und unterliegt. Man muß ihm also zu Hülfe eilen, und erstlich den Fall, der Aufschub leidet, in eine Handlung ver- wandeln, die itzt geschiehet, wo der Augen- blick entscheidend ist, und alle Entschuldigung wegfällt; sodann aber auch alle Feyerlichkeit aufbieten, alle die Kraft und den Nachdruck zusammennehmen, mit welchen die Erinnerung an Gott, den allgerechten Rächer und Vergel- ter, auf das Gemüth wirken kann.
Dieses ist die Bestimmung des Eides, und hieraus, dünkt mich, sey offenbar, daß man die Menschen nur über Dinge beschwören müsse, die in die äusseren Sinne fallen; davon sie mit der Ueberzeugung, welche die Evidenz
der
das Gewiſſen rege gemacht werden. Der itzt vor Gericht laͤugnet, beſitzet vielleicht fremdes Gut, ohne die entſchloſſene Bosheit, unge- recht ſeyn zu wollen. Er kann ſolches ver- zehrt, oder haben von Haͤnden kommen laſ- ſen, und will voritzt durch das Ablaͤugnen nur Zeit gewinnen; und ſo wird vielleicht der gute Geiſt, der fuͤr die Gerechtigkeit in ihm kaͤmpft, von Tag zu Tag abgewieſen, bis er ermuͤdet, und unterliegt. Man muß ihm alſo zu Huͤlfe eilen, und erſtlich den Fall, der Aufſchub leidet, in eine Handlung ver- wandeln, die itzt geſchiehet, wo der Augen- blick entſcheidend iſt, und alle Entſchuldigung wegfaͤllt; ſodann aber auch alle Feyerlichkeit aufbieten, alle die Kraft und den Nachdruck zuſammennehmen, mit welchen die Erinnerung an Gott, den allgerechten Raͤcher und Vergel- ter, auf das Gemuͤth wirken kann.
Dieſes iſt die Beſtimmung des Eides, und hieraus, duͤnkt mich, ſey offenbar, daß man die Menſchen nur uͤber Dinge beſchwoͤren muͤſſe, die in die aͤuſſeren Sinne fallen; davon ſie mit der Ueberzeugung, welche die Evidenz
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das Gewiſſen rege gemacht werden. Der itzt
vor Gericht laͤugnet, beſitzet vielleicht fremdes
Gut, ohne die entſchloſſene Bosheit, unge-
recht ſeyn zu wollen. Er kann ſolches ver-
zehrt, oder haben von Haͤnden kommen laſ-
ſen, und will voritzt durch das Ablaͤugnen
nur Zeit gewinnen; und ſo wird vielleicht
der gute Geiſt, der fuͤr die Gerechtigkeit in
ihm kaͤmpft, von Tag zu Tag abgewieſen,
bis er ermuͤdet, und unterliegt. Man muß
ihm alſo zu Huͤlfe eilen, und erſtlich den Fall,
der Aufſchub leidet, in eine Handlung ver-
wandeln, die itzt geſchiehet, wo der Augen-
blick entſcheidend iſt, und alle Entſchuldigung
wegfaͤllt; ſodann aber auch alle Feyerlichkeit
aufbieten, alle die Kraft und den Nachdruck
zuſammennehmen, mit welchen die Erinnerung
an Gott, den allgerechten Raͤcher und Vergel-
ter, auf das Gemuͤth wirken kann.
Dieſes iſt die Beſtimmung des Eides,
und hieraus, duͤnkt mich, ſey offenbar, daß
man die Menſchen nur uͤber Dinge beſchwoͤren
muͤſſe, die in die aͤuſſeren Sinne fallen; davon
ſie mit der Ueberzeugung, welche die Evidenz
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/80>, abgerufen am 16.02.2025.
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