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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Nirgends zeigt sich der Einfluß früherer Ver¬
hältnisse auf unsern heutigen Zustand so auffallend,
als in unsrem Kirchwesen. Alles, was wir davon
erblicken trägt das Gepräge der Vergangenheit, und
welcher Vergangenheit? eines Kriegszustandes, der
damit endete, daß beide Parteien in schlachtfertiger
Stellung versteinerten. Wir sehen an den gewalti¬
gen Riesen hinauf, die immerfort mitten auf unserm
belebten Markte stehen, und schauern ein wenig über
die Größe, oder über die Wuth, oder über das Todte
der mächtigen Gestalten. Es ist in der That eine
ganz einzige Lage, in der wir uns in kirchlicher Hin¬
sicht befinden. Möchte ein verschiedner Glaube im¬
merhin an getrennte Stämme oder wenigstens Stände
sich vertheilen, möchte der Haufen auf rohere, die
Gebildeten auf feinere Weise glauben und beten, so
wäre das nichts besonders, aber daß ein und dieselbe
Nation mit gleicher Naturanlage, gleichen Schicksa¬
len, gleicher Bildung und auf demselben engen Bo¬
den zusammengedrängt, sich in so durchaus verschiedne
Kirchen, ohne Rücksicht auf Stand und Bildung, ich
will nicht sagen getrennt hat, sondern nur getrennt
erhält, ist wahrlich, so sehr wir uns daran gewöhnt
haben, doch immer außerordentlich. Die Ursache die¬
ser Erscheinungen aber, daß sich dieser Zustand er¬
hält und uns nicht durchaus mißbehagt, liegt eben
in jener Gewohnheit, die sich allmählich einfinden
mußte, nachdem beide Parteien weder siegen, noch
fallen, noch länger fechten konnten. Sie liegt aber

Nirgends zeigt ſich der Einfluß fruͤherer Ver¬
haͤltniſſe auf unſern heutigen Zuſtand ſo auffallend,
als in unſrem Kirchweſen. Alles, was wir davon
erblicken traͤgt das Gepraͤge der Vergangenheit, und
welcher Vergangenheit? eines Kriegszuſtandes, der
damit endete, daß beide Parteien in ſchlachtfertiger
Stellung verſteinerten. Wir ſehen an den gewalti¬
gen Rieſen hinauf, die immerfort mitten auf unſerm
belebten Markte ſtehen, und ſchauern ein wenig uͤber
die Groͤße, oder uͤber die Wuth, oder uͤber das Todte
der maͤchtigen Geſtalten. Es iſt in der That eine
ganz einzige Lage, in der wir uns in kirchlicher Hin¬
ſicht befinden. Moͤchte ein verſchiedner Glaube im¬
merhin an getrennte Staͤmme oder wenigſtens Staͤnde
ſich vertheilen, moͤchte der Haufen auf rohere, die
Gebildeten auf feinere Weiſe glauben und beten, ſo
waͤre das nichts beſonders, aber daß ein und dieſelbe
Nation mit gleicher Naturanlage, gleichen Schickſa¬
len, gleicher Bildung und auf demſelben engen Bo¬
den zuſammengedraͤngt, ſich in ſo durchaus verſchiedne
Kirchen, ohne Ruͤckſicht auf Stand und Bildung, ich
will nicht ſagen getrennt hat, ſondern nur getrennt
erhaͤlt, iſt wahrlich, ſo ſehr wir uns daran gewoͤhnt
haben, doch immer außerordentlich. Die Urſache die¬
ſer Erſcheinungen aber, daß ſich dieſer Zuſtand er¬
haͤlt und uns nicht durchaus mißbehagt, liegt eben
in jener Gewohnheit, die ſich allmaͤhlich einfinden
mußte, nachdem beide Parteien weder ſiegen, noch
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[92/0102] Nirgends zeigt ſich der Einfluß fruͤherer Ver¬ haͤltniſſe auf unſern heutigen Zuſtand ſo auffallend, als in unſrem Kirchweſen. Alles, was wir davon erblicken traͤgt das Gepraͤge der Vergangenheit, und welcher Vergangenheit? eines Kriegszuſtandes, der damit endete, daß beide Parteien in ſchlachtfertiger Stellung verſteinerten. Wir ſehen an den gewalti¬ gen Rieſen hinauf, die immerfort mitten auf unſerm belebten Markte ſtehen, und ſchauern ein wenig uͤber die Groͤße, oder uͤber die Wuth, oder uͤber das Todte der maͤchtigen Geſtalten. Es iſt in der That eine ganz einzige Lage, in der wir uns in kirchlicher Hin¬ ſicht befinden. Moͤchte ein verſchiedner Glaube im¬ merhin an getrennte Staͤmme oder wenigſtens Staͤnde ſich vertheilen, moͤchte der Haufen auf rohere, die Gebildeten auf feinere Weiſe glauben und beten, ſo waͤre das nichts beſonders, aber daß ein und dieſelbe Nation mit gleicher Naturanlage, gleichen Schickſa¬ len, gleicher Bildung und auf demſelben engen Bo¬ den zuſammengedraͤngt, ſich in ſo durchaus verſchiedne Kirchen, ohne Ruͤckſicht auf Stand und Bildung, ich will nicht ſagen getrennt hat, ſondern nur getrennt erhaͤlt, iſt wahrlich, ſo ſehr wir uns daran gewoͤhnt haben, doch immer außerordentlich. Die Urſache die¬ ſer Erſcheinungen aber, daß ſich dieſer Zuſtand er¬ haͤlt und uns nicht durchaus mißbehagt, liegt eben in jener Gewohnheit, die ſich allmaͤhlich einfinden mußte, nachdem beide Parteien weder ſiegen, noch fallen, noch laͤnger fechten konnten. Sie liegt aber

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/102>, abgerufen am 28.11.2024.