und er vermag die Stimme desselben durch Täuschun¬ gen des Sinnes oder Gefühls zwar lange, doch nicht für immer zu übertäuben. Dies Gewissen regt sich aber auch im Ganzen des Völkerlebens und vernich¬ tet in jenen Täuschungen die Wurzeln des Unrechts und des Elends. Es ist die reine Mathematik und Logik des Verstandes, die uns verliehen ist, um die Harmonie aller in uns liegenden Kräfte zu erkennen und zu bewahren. Sie kann die blühende Sinnlich¬ keit nicht hinwegdenken, aber sie mäßigt das Über¬ wallen der sinnlichen Kraft; sie kann das tiefe Ge¬ fühl nicht aus den Herzen klügeln, aber sie führt die wahnsinnige Leidenschaft in die Gränzen der gesunden Natur zurück. Wenn daher die Sinnlichkeit uns zu seelenlosem Götzendienst verführt, das Gefühl ertödtet und den Verstand gefangen nimmt, wenn das über¬ spannte Gefühl den Leib abtödtet und den Verstand in stumpfsinnigem Hinbrüten ersticken will, so wird eben dieser Verstand das gestörte Gleichgewicht er¬ kennen und durch die Erkenntniß wieder herstellen. Dennoch kann der Verstand selbst in eine ganz ähn¬ liche Tyrannei entarten, sofern er ausschließlich herr¬ schen will, und dieses Extrem tritt in der Regel ein, sobald der Verstand siegreich ein Extrem der Sinn¬ lichkeit oder der Leidenschaft überwunden hat. Der Verstand, der über die nächtliche Welt, darin sinn¬ liche Triebe und monströse Leidenschaften durcheinan¬ der wühlen, ein überraschendes Licht verbreitet, woran das Ungeheure sich verzehrt, wie Traumbilder, wenn
und er vermag die Stimme deſſelben durch Taͤuſchun¬ gen des Sinnes oder Gefuͤhls zwar lange, doch nicht fuͤr immer zu uͤbertaͤuben. Dies Gewiſſen regt ſich aber auch im Ganzen des Voͤlkerlebens und vernich¬ tet in jenen Taͤuſchungen die Wurzeln des Unrechts und des Elends. Es iſt die reine Mathematik und Logik des Verſtandes, die uns verliehen iſt, um die Harmonie aller in uns liegenden Kraͤfte zu erkennen und zu bewahren. Sie kann die bluͤhende Sinnlich¬ keit nicht hinwegdenken, aber ſie maͤßigt das Über¬ wallen der ſinnlichen Kraft; ſie kann das tiefe Ge¬ fuͤhl nicht aus den Herzen kluͤgeln, aber ſie fuͤhrt die wahnſinnige Leidenſchaft in die Graͤnzen der geſunden Natur zuruͤck. Wenn daher die Sinnlichkeit uns zu ſeelenloſem Goͤtzendienſt verfuͤhrt, das Gefuͤhl ertoͤdtet und den Verſtand gefangen nimmt, wenn das uͤber¬ ſpannte Gefuͤhl den Leib abtoͤdtet und den Verſtand in ſtumpfſinnigem Hinbruͤten erſticken will, ſo wird eben dieſer Verſtand das geſtoͤrte Gleichgewicht er¬ kennen und durch die Erkenntniß wieder herſtellen. Dennoch kann der Verſtand ſelbſt in eine ganz aͤhn¬ liche Tyrannei entarten, ſofern er ausſchließlich herr¬ ſchen will, und dieſes Extrem tritt in der Regel ein, ſobald der Verſtand ſiegreich ein Extrem der Sinn¬ lichkeit oder der Leidenſchaft uͤberwunden hat. Der Verſtand, der uͤber die naͤchtliche Welt, darin ſinn¬ liche Triebe und monſtroͤſe Leidenſchaften durcheinan¬ der wuͤhlen, ein uͤberraſchendes Licht verbreitet, woran das Ungeheure ſich verzehrt, wie Traumbilder, wenn
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und er vermag die Stimme deſſelben durch Taͤuſchun¬
gen des Sinnes oder Gefuͤhls zwar lange, doch nicht
fuͤr immer zu uͤbertaͤuben. Dies Gewiſſen regt ſich
aber auch im Ganzen des Voͤlkerlebens und vernich¬
tet in jenen Taͤuſchungen die Wurzeln des Unrechts
und des Elends. Es iſt die reine Mathematik und
Logik des Verſtandes, die uns verliehen iſt, um die
Harmonie aller in uns liegenden Kraͤfte zu erkennen
und zu bewahren. Sie kann die bluͤhende Sinnlich¬
keit nicht hinwegdenken, aber ſie maͤßigt das Über¬
wallen der ſinnlichen Kraft; ſie kann das tiefe Ge¬
fuͤhl nicht aus den Herzen kluͤgeln, aber ſie fuͤhrt die
wahnſinnige Leidenſchaft in die Graͤnzen der geſunden
Natur zuruͤck. Wenn daher die Sinnlichkeit uns zu
ſeelenloſem Goͤtzendienſt verfuͤhrt, das Gefuͤhl ertoͤdtet
und den Verſtand gefangen nimmt, wenn das uͤber¬
ſpannte Gefuͤhl den Leib abtoͤdtet und den Verſtand
in ſtumpfſinnigem Hinbruͤten erſticken will, ſo wird
eben dieſer Verſtand das geſtoͤrte Gleichgewicht er¬
kennen und durch die Erkenntniß wieder herſtellen.
Dennoch kann der Verſtand ſelbſt in eine ganz aͤhn¬
liche Tyrannei entarten, ſofern er ausſchließlich herr¬
ſchen will, und dieſes Extrem tritt in der Regel ein,
ſobald der Verſtand ſiegreich ein Extrem der Sinn¬
lichkeit oder der Leidenſchaft uͤberwunden hat. Der
Verſtand, der uͤber die naͤchtliche Welt, darin ſinn¬
liche Triebe und monſtroͤſe Leidenſchaften durcheinan¬
der wuͤhlen, ein uͤberraſchendes Licht verbreitet, woran
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/137>, abgerufen am 25.11.2024.
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