Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.das Auge den Tag sieht, wird eben so bald zur fres¬ Man gab das todte Wort wieder auf, um ein das Auge den Tag ſieht, wird eben ſo bald zur freſ¬ Man gab das todte Wort wieder auf, um ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0138" n="128"/> das Auge den Tag ſieht, wird eben ſo bald zur freſ¬<lb/> ſenden Feuersflamme und will nichts dulden als ſich.<lb/> Kaum hat er den Goͤtzen entlarvt und geſtuͤrzt, ſo<lb/> bannt er das ſchoͤne Geheimniß des Goͤttlichen ganz<lb/> aus der ſinnlichen Natur, kaum hat er die Raſerei<lb/> der Leidenſchaften bewaͤltigt, ſo laͤugnet er die Of¬<lb/> fenbarungen des Herzens. Kaum hat er die Ariſto¬<lb/> kratie der Prieſterkaſte beſiegt, ſo errichtet er ſelbſt<lb/> wieder den Wohlfahrtsausſchuß, der jeden fuͤr kopflos<lb/> erklaͤrt, der Gott nicht blos im Kopfe hat. Zuletzt,<lb/> und dies iſt die Kriſis ſeines Fanatismus, conſtituirt<lb/> die Denkkraft ſich als das Abſolute, allem Seyn zu<lb/> Grunde Liegende, und dekretirt von ihrem Ich herab<lb/> das Daſeyn Gottes, oder der Vernunft, oder wie<lb/> ihr das Ding nennen wollt. An der Hand der Phi¬<lb/> loſophie haben deutſche Theologen alle Stadien die¬<lb/> ſes Verſtandesfiebers eben ſo conſequent und gleich¬<lb/> zeitig, nur mehr verſteckt, durchgemacht, wie die Po¬<lb/> litiker praktiſch und oͤffentlich in der franzoͤſiſchen<lb/> Revolution.</p><lb/> <p>Man gab das todte Wort wieder auf, um ein<lb/> lebendiges Denken an ſeine Stelle treten zu laſſen,<lb/> aber auch dieſer Fortſchritt geſchah noch in der ein¬<lb/> ſeitigen Richtung, welche die Reformation vorgezeich¬<lb/> net hatte, ja er hat zum Extrem der Lehre gefuͤhrt.<lb/> Erſt mit der Alleinherrſchaft des Begriffs uͤber das<lb/> Wort, ſelbſt das heilige, erreichte jene Lehre den<lb/> Culminationspunkt, die beſtimmt ſchien, den Sinnen¬<lb/> glauben zu zerſtoͤren, und den Gefuͤhlsglauben her¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0138]
das Auge den Tag ſieht, wird eben ſo bald zur freſ¬
ſenden Feuersflamme und will nichts dulden als ſich.
Kaum hat er den Goͤtzen entlarvt und geſtuͤrzt, ſo
bannt er das ſchoͤne Geheimniß des Goͤttlichen ganz
aus der ſinnlichen Natur, kaum hat er die Raſerei
der Leidenſchaften bewaͤltigt, ſo laͤugnet er die Of¬
fenbarungen des Herzens. Kaum hat er die Ariſto¬
kratie der Prieſterkaſte beſiegt, ſo errichtet er ſelbſt
wieder den Wohlfahrtsausſchuß, der jeden fuͤr kopflos
erklaͤrt, der Gott nicht blos im Kopfe hat. Zuletzt,
und dies iſt die Kriſis ſeines Fanatismus, conſtituirt
die Denkkraft ſich als das Abſolute, allem Seyn zu
Grunde Liegende, und dekretirt von ihrem Ich herab
das Daſeyn Gottes, oder der Vernunft, oder wie
ihr das Ding nennen wollt. An der Hand der Phi¬
loſophie haben deutſche Theologen alle Stadien die¬
ſes Verſtandesfiebers eben ſo conſequent und gleich¬
zeitig, nur mehr verſteckt, durchgemacht, wie die Po¬
litiker praktiſch und oͤffentlich in der franzoͤſiſchen
Revolution.
Man gab das todte Wort wieder auf, um ein
lebendiges Denken an ſeine Stelle treten zu laſſen,
aber auch dieſer Fortſchritt geſchah noch in der ein¬
ſeitigen Richtung, welche die Reformation vorgezeich¬
net hatte, ja er hat zum Extrem der Lehre gefuͤhrt.
Erſt mit der Alleinherrſchaft des Begriffs uͤber das
Wort, ſelbſt das heilige, erreichte jene Lehre den
Culminationspunkt, die beſtimmt ſchien, den Sinnen¬
glauben zu zerſtoͤren, und den Gefuͤhlsglauben her¬
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