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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Psychologen, Mendelssohn, Reimarus, Platner, Abt,
Sulzer etc. suchten die Thatsachen der Erfahrungs¬
seelenlehre zu sammeln. Ihr gesammtes Wirken um¬
faßte und vollendete der Philosoph von Königsberg.
Kant, eben so groß durch seinen Geist, als durch
die erhabne Stellung auf der pyramidalischen Höhe
aller frühern Denker, wurde der Stifter jener gro¬
ßen Epoche der deutschen Philosophie, von der das
vorige Jahrhundert den Namen des philosophischen
trägt. Kant baute sein System auf die Anthropo¬
logie. Er prüfte die Organe des Menschen, ver¬
möge deren er alles vernimmt. Er zeigte, daß man
nicht forschen könne, was die Welt an sich sey, son¬
dern nur, wie wir sie vernehmen. Seine Philoso¬
phie war Kritik der Vernunft.

Einen Augenblick schien es, als ob in dieser
Kritik die letzte Gränzscheide der Philosophie gezo¬
gen sey, und doch ward sie bald wieder übersprun¬
gen. Es schien, als ob alle die verschiednen Keime
der Philosophie zu dieser einzigen Frucht gereift
seyen; die Frucht trug aber wieder verschiedne Sa¬
men. Man bemerkte, daß Kant eigentlich vom wah¬
ren Ziel der Philosophie abgewichen war, denn er
verschmähte das absolute Wissen und bewies, es gäbe
nur ein bedingtes. Sofort verließ man ihn als ei¬
nen Kleingläubigen und suchte von neuem das Abso¬
lute. Kant hatte ferner ein subjektives Wissen von
der objectiven Welt angenommen, und beide mit ein¬
ander dergestalt in Relation gesetzt, daß wir zwar

Pſychologen, Mendelsſohn, Reimarus, Platner, Abt,
Sulzer ꝛc. ſuchten die Thatſachen der Erfahrungs¬
ſeelenlehre zu ſammeln. Ihr geſammtes Wirken um¬
faßte und vollendete der Philoſoph von Koͤnigsberg.
Kant, eben ſo groß durch ſeinen Geiſt, als durch
die erhabne Stellung auf der pyramidaliſchen Hoͤhe
aller fruͤhern Denker, wurde der Stifter jener gro¬
ßen Epoche der deutſchen Philoſophie, von der das
vorige Jahrhundert den Namen des philoſophiſchen
traͤgt. Kant baute ſein Syſtem auf die Anthropo¬
logie. Er pruͤfte die Organe des Menſchen, ver¬
moͤge deren er alles vernimmt. Er zeigte, daß man
nicht forſchen koͤnne, was die Welt an ſich ſey, ſon¬
dern nur, wie wir ſie vernehmen. Seine Philoſo¬
phie war Kritik der Vernunft.

Einen Augenblick ſchien es, als ob in dieſer
Kritik die letzte Graͤnzſcheide der Philoſophie gezo¬
gen ſey, und doch ward ſie bald wieder uͤberſprun¬
gen. Es ſchien, als ob alle die verſchiednen Keime
der Philoſophie zu dieſer einzigen Frucht gereift
ſeyen; die Frucht trug aber wieder verſchiedne Sa¬
men. Man bemerkte, daß Kant eigentlich vom wah¬
ren Ziel der Philoſophie abgewichen war, denn er
verſchmaͤhte das abſolute Wiſſen und bewies, es gaͤbe
nur ein bedingtes. Sofort verließ man ihn als ei¬
nen Kleinglaͤubigen und ſuchte von neuem das Abſo¬
lute. Kant hatte ferner ein ſubjektives Wiſſen von
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[162/0172] Pſychologen, Mendelsſohn, Reimarus, Platner, Abt, Sulzer ꝛc. ſuchten die Thatſachen der Erfahrungs¬ ſeelenlehre zu ſammeln. Ihr geſammtes Wirken um¬ faßte und vollendete der Philoſoph von Koͤnigsberg. Kant, eben ſo groß durch ſeinen Geiſt, als durch die erhabne Stellung auf der pyramidaliſchen Hoͤhe aller fruͤhern Denker, wurde der Stifter jener gro¬ ßen Epoche der deutſchen Philoſophie, von der das vorige Jahrhundert den Namen des philoſophiſchen traͤgt. Kant baute ſein Syſtem auf die Anthropo¬ logie. Er pruͤfte die Organe des Menſchen, ver¬ moͤge deren er alles vernimmt. Er zeigte, daß man nicht forſchen koͤnne, was die Welt an ſich ſey, ſon¬ dern nur, wie wir ſie vernehmen. Seine Philoſo¬ phie war Kritik der Vernunft. Einen Augenblick ſchien es, als ob in dieſer Kritik die letzte Graͤnzſcheide der Philoſophie gezo¬ gen ſey, und doch ward ſie bald wieder uͤberſprun¬ gen. Es ſchien, als ob alle die verſchiednen Keime der Philoſophie zu dieſer einzigen Frucht gereift ſeyen; die Frucht trug aber wieder verſchiedne Sa¬ men. Man bemerkte, daß Kant eigentlich vom wah¬ ren Ziel der Philoſophie abgewichen war, denn er verſchmaͤhte das abſolute Wiſſen und bewies, es gaͤbe nur ein bedingtes. Sofort verließ man ihn als ei¬ nen Kleinglaͤubigen und ſuchte von neuem das Abſo¬ lute. Kant hatte ferner ein ſubjektives Wiſſen von der objectiven Welt angenommen, und beide mit ein¬ ander dergeſtalt in Relation geſetzt, daß wir zwar

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/172>, abgerufen am 27.11.2024.