Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

und man begreift unter dem Gegenstande der Ge¬
schichte bei weitem mehr, als früher, wiewohl die
politische Geschichte immer die vorherrschende bleibt.
Jene Gegenstände sind die allgemeine Weltgeschichte,
die Geschichte einzelner Völker, Örter, Begebenheit
und Personen, aber auch Geschichte der Cultur oder
einzelner Richtungen des Lebens, der Religion und
Kirche, der Wissenschaften und Künste, der Sitten
und des Verkehrs.

Die Deutschen haben sich in allen diesen Gegen¬
ständen versucht, doch zeichnet sie eine charakteristische
Vorliebe für die allgemeine Weltgeschichte aus, weil
ihr philosophischer Trieb überall eine Einheit und
ein Ganzes sucht. Eben deßhalb haben sie sich auch
mehr als irgend ein andres Volk um die Geschichte
der Fremden bekümmert. Die vaterländische Geschichte
ist darüber mannigfach vernachlässigt, wenigstens ist
ihr ein unermeßliches Studium, das sich auf die
fremde Geschichte geworfen hat, entzogen worden.

Der Werth unsrer Geschichtsforschung muß
theils nach den Hülfsmitteln, theils nach der Kritik
und nach den Ansichten und Resultaten derselben ge¬
wogen werden. Die Mittel haben sich in der neuern
Zeit auf jede Weise direkt und indirekt vervielfältigt:

Das Studium der Geschichte ist von der großen
Geisterbewegung der neuern Zeit mit ergriffen wor¬
den. Mit allen philosophischen Ansichten haben sich
auch die der Geschichte geläutert und gehoben. Die
Sammlungen sind vermehrt und gelichtet, die Kritik

und man begreift unter dem Gegenſtande der Ge¬
ſchichte bei weitem mehr, als fruͤher, wiewohl die
politiſche Geſchichte immer die vorherrſchende bleibt.
Jene Gegenſtaͤnde ſind die allgemeine Weltgeſchichte,
die Geſchichte einzelner Voͤlker, Örter, Begebenheit
und Perſonen, aber auch Geſchichte der Cultur oder
einzelner Richtungen des Lebens, der Religion und
Kirche, der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, der Sitten
und des Verkehrs.

Die Deutſchen haben ſich in allen dieſen Gegen¬
ſtaͤnden verſucht, doch zeichnet ſie eine charakteriſtiſche
Vorliebe fuͤr die allgemeine Weltgeſchichte aus, weil
ihr philoſophiſcher Trieb uͤberall eine Einheit und
ein Ganzes ſucht. Eben deßhalb haben ſie ſich auch
mehr als irgend ein andres Volk um die Geſchichte
der Fremden bekuͤmmert. Die vaterlaͤndiſche Geſchichte
iſt daruͤber mannigfach vernachlaͤſſigt, wenigſtens iſt
ihr ein unermeßliches Studium, das ſich auf die
fremde Geſchichte geworfen hat, entzogen worden.

Der Werth unſrer Geſchichtsforſchung muß
theils nach den Huͤlfsmitteln, theils nach der Kritik
und nach den Anſichten und Reſultaten derſelben ge¬
wogen werden. Die Mittel haben ſich in der neuern
Zeit auf jede Weiſe direkt und indirekt vervielfaͤltigt:

Das Studium der Geſchichte iſt von der großen
Geiſterbewegung der neuern Zeit mit ergriffen wor¬
den. Mit allen philoſophiſchen Anſichten haben ſich
auch die der Geſchichte gelaͤutert und gehoben. Die
Sammlungen ſind vermehrt und gelichtet, die Kritik

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0209" n="199"/>
und man begreift unter dem Gegen&#x017F;tande der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte bei weitem mehr, als fru&#x0364;her, wiewohl die<lb/>
politi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte immer die vorherr&#x017F;chende bleibt.<lb/>
Jene Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ind die allgemeine Weltge&#x017F;chichte,<lb/>
die Ge&#x017F;chichte einzelner Vo&#x0364;lker, Örter, Begebenheit<lb/>
und Per&#x017F;onen, aber auch Ge&#x017F;chichte der Cultur oder<lb/>
einzelner Richtungen des Lebens, der Religion und<lb/>
Kirche, der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Ku&#x0364;n&#x017F;te, der Sitten<lb/>
und des Verkehrs.</p><lb/>
        <p>Die Deut&#x017F;chen haben &#x017F;ich in allen die&#x017F;en Gegen¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden ver&#x017F;ucht, doch zeichnet &#x017F;ie eine charakteri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Vorliebe fu&#x0364;r die allgemeine Weltge&#x017F;chichte aus, weil<lb/>
ihr philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Trieb u&#x0364;berall eine Einheit und<lb/>
ein Ganzes &#x017F;ucht. Eben deßhalb haben &#x017F;ie &#x017F;ich auch<lb/>
mehr als irgend ein andres Volk um die Ge&#x017F;chichte<lb/>
der Fremden beku&#x0364;mmert. Die vaterla&#x0364;ndi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte<lb/>
i&#x017F;t daru&#x0364;ber mannigfach vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt, wenig&#x017F;tens i&#x017F;t<lb/>
ihr ein unermeßliches Studium, das &#x017F;ich auf die<lb/>
fremde Ge&#x017F;chichte geworfen hat, entzogen worden.</p><lb/>
        <p>Der Werth un&#x017F;rer <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichtsfor&#x017F;chung</hi> muß<lb/>
theils nach den Hu&#x0364;lfsmitteln, theils nach der Kritik<lb/>
und nach den An&#x017F;ichten und Re&#x017F;ultaten der&#x017F;elben ge¬<lb/>
wogen werden. Die Mittel haben &#x017F;ich in der neuern<lb/>
Zeit auf jede Wei&#x017F;e direkt und indirekt vervielfa&#x0364;ltigt:</p><lb/>
        <p>Das Studium der Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t von der großen<lb/>
Gei&#x017F;terbewegung der neuern Zeit mit ergriffen wor¬<lb/>
den. Mit allen philo&#x017F;ophi&#x017F;chen An&#x017F;ichten haben &#x017F;ich<lb/>
auch die der Ge&#x017F;chichte gela&#x0364;utert und gehoben. Die<lb/>
Sammlungen &#x017F;ind vermehrt und gelichtet, die Kritik<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0209] und man begreift unter dem Gegenſtande der Ge¬ ſchichte bei weitem mehr, als fruͤher, wiewohl die politiſche Geſchichte immer die vorherrſchende bleibt. Jene Gegenſtaͤnde ſind die allgemeine Weltgeſchichte, die Geſchichte einzelner Voͤlker, Örter, Begebenheit und Perſonen, aber auch Geſchichte der Cultur oder einzelner Richtungen des Lebens, der Religion und Kirche, der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, der Sitten und des Verkehrs. Die Deutſchen haben ſich in allen dieſen Gegen¬ ſtaͤnden verſucht, doch zeichnet ſie eine charakteriſtiſche Vorliebe fuͤr die allgemeine Weltgeſchichte aus, weil ihr philoſophiſcher Trieb uͤberall eine Einheit und ein Ganzes ſucht. Eben deßhalb haben ſie ſich auch mehr als irgend ein andres Volk um die Geſchichte der Fremden bekuͤmmert. Die vaterlaͤndiſche Geſchichte iſt daruͤber mannigfach vernachlaͤſſigt, wenigſtens iſt ihr ein unermeßliches Studium, das ſich auf die fremde Geſchichte geworfen hat, entzogen worden. Der Werth unſrer Geſchichtsforſchung muß theils nach den Huͤlfsmitteln, theils nach der Kritik und nach den Anſichten und Reſultaten derſelben ge¬ wogen werden. Die Mittel haben ſich in der neuern Zeit auf jede Weiſe direkt und indirekt vervielfaͤltigt: Das Studium der Geſchichte iſt von der großen Geiſterbewegung der neuern Zeit mit ergriffen wor¬ den. Mit allen philoſophiſchen Anſichten haben ſich auch die der Geſchichte gelaͤutert und gehoben. Die Sammlungen ſind vermehrt und gelichtet, die Kritik

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/209
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/209>, abgerufen am 21.11.2024.