Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.Unterricht empfangen. Wo indeß die deutsche Ei¬ Das schlimmste ist, daß beide am allerwenigsten 10*
Unterricht empfangen. Wo indeß die deutſche Ei¬ Das ſchlimmſte iſt, daß beide am allerwenigſten 10*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0229" n="219"/> Unterricht empfangen. Wo indeß die deutſche Ei¬<lb/> genthuͤmlichkeit vorſchlaͤgt, aͤußert ſie ſich in derſel¬<lb/> ben <hi rendition="#g">Syſtemſucht</hi> und <hi rendition="#g">Phantaſterie</hi>, die wir in<lb/> allen Wiſſenſchaften geltend machen. Die Praktiker,<lb/> die das Ruder fuͤhren, ſind davon ſo wenig ausge¬<lb/> ſchloſſen als die ſtillen Schwaͤrmer in den Dachſtu¬<lb/> ben, die nichts regieren als die Feder. Jene wollen<lb/> der Gegenwart das Unmoͤgliche aufdringen, dieſe der<lb/> Zukunft das Moͤgliche. Jene legen die Voͤlker auf<lb/> ihre Tabellen, wie den heiligen Laurentius auf den<lb/> Roſt, dieſe machen ſich goldne Traͤume von der Zu¬<lb/> kunft, die ſich bekanntlich, wie das Papier, alles ge¬<lb/> fallen laͤßt, wobei aber die Kuh immer verhungern<lb/> muß, bevor das Gras gewachſen iſt. Wagt es das<lb/> voͤllig paſſive Publikum ſich uͤber die Gewaltthaͤtig¬<lb/> keit der Theorien zu beklagen, oder die Phantome der<lb/> Ideologen zu verlachen, ſo heißt es von beiden Seiten<lb/> mit Fichte: das Publikum iſt kein Grund, unſre<lb/> Weisheit in Thorheit zu verkehren.</p><lb/> <p>Das ſchlimmſte iſt, daß beide am allerwenigſten<lb/> an die materielle Freiheit der Voͤlker denken, die<lb/> doch die einzige iſt, deren wir auf unſrer gegenwaͤr¬<lb/> tigen Stufe der Cultur faͤhig ſind, und die allein<lb/> uns frommen kann. Die praktiſchen Staatsverbeſſe¬<lb/> rer ſtuͤrmen durch das ſtille Daſeyn der Philiſter und<lb/> opfern den Einzelnen dem Ganzen; die ſchwaͤrmen¬<lb/> den Weltverbeſſerer aber denken nur an die mora¬<lb/> liſche Freiheit, an einen idealen Zuſtand, der viel¬<lb/> leicht am Ende der Zeiten liegt.<lb/></p> <fw place="bottom" type="sig">10*<lb/></fw> </div> </body> </text> </TEI> [219/0229]
Unterricht empfangen. Wo indeß die deutſche Ei¬
genthuͤmlichkeit vorſchlaͤgt, aͤußert ſie ſich in derſel¬
ben Syſtemſucht und Phantaſterie, die wir in
allen Wiſſenſchaften geltend machen. Die Praktiker,
die das Ruder fuͤhren, ſind davon ſo wenig ausge¬
ſchloſſen als die ſtillen Schwaͤrmer in den Dachſtu¬
ben, die nichts regieren als die Feder. Jene wollen
der Gegenwart das Unmoͤgliche aufdringen, dieſe der
Zukunft das Moͤgliche. Jene legen die Voͤlker auf
ihre Tabellen, wie den heiligen Laurentius auf den
Roſt, dieſe machen ſich goldne Traͤume von der Zu¬
kunft, die ſich bekanntlich, wie das Papier, alles ge¬
fallen laͤßt, wobei aber die Kuh immer verhungern
muß, bevor das Gras gewachſen iſt. Wagt es das
voͤllig paſſive Publikum ſich uͤber die Gewaltthaͤtig¬
keit der Theorien zu beklagen, oder die Phantome der
Ideologen zu verlachen, ſo heißt es von beiden Seiten
mit Fichte: das Publikum iſt kein Grund, unſre
Weisheit in Thorheit zu verkehren.
Das ſchlimmſte iſt, daß beide am allerwenigſten
an die materielle Freiheit der Voͤlker denken, die
doch die einzige iſt, deren wir auf unſrer gegenwaͤr¬
tigen Stufe der Cultur faͤhig ſind, und die allein
uns frommen kann. Die praktiſchen Staatsverbeſſe¬
rer ſtuͤrmen durch das ſtille Daſeyn der Philiſter und
opfern den Einzelnen dem Ganzen; die ſchwaͤrmen¬
den Weltverbeſſerer aber denken nur an die mora¬
liſche Freiheit, an einen idealen Zuſtand, der viel¬
leicht am Ende der Zeiten liegt.
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