Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.Was die in neuerer Zeit so häufig gewordenen Was auf der andern Seite die Ausschweifun¬ Was die in neuerer Zeit ſo haͤufig gewordenen Was auf der andern Seite die Ausſchweifun¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0230" n="220"/> <p>Was die in neuerer Zeit ſo haͤufig gewordenen<lb/> durchgreifenden Staatsverbeſſerungen und Reorgani¬<lb/> ſationen in ihrer Gewaltthaͤtigkeit einigermaßen hemmt,<lb/> gewaͤhrt doch keinen ſonderlichen Troſt. Dies iſt<lb/> naͤmlich die an ſich ehrwuͤrdige Achtung vor dem Al¬<lb/> ten, die aber in dem Zuſtande, wohin uns die Zeit<lb/> einmal unaufhaltſam fortgeriſſen hat, niemals mehr<lb/> zur Conſequenz des alten Syſtems zuruͤckfuͤhren kann,<lb/> und alſo der Conſequenz des neuen nur hinderlich<lb/> iſt. Zwiſchen beide ſtellt ſich ein <hi rendition="#g">Syſtem</hi> von <hi rendition="#g">Flick¬<lb/> ſyſtemen</hi>, es wird beſtaͤndig eingeriſſen und wieder<lb/> angebaut, aus allen Zeitaltern und fuͤr alle Staͤnde<lb/> haben ſich Inſtitutionen erhalten, und wieder an je¬<lb/> dem Orte beſondre, unzaͤhlige neue ſind dem ange¬<lb/> klebt worden, und alle verhalten ſich zu den einfa¬<lb/> chen, die man haben koͤnnte, wie eine Troͤdlerbude<lb/> voll alter Kleider zu einem reinlichen Anzug. Die<lb/> Staatspraktiker muͤſſen nicht nur Theoretiker ſeyn,<lb/> ſondern auch Hiſtoriker und Philologen, und die Ge¬<lb/> lehrſamkeit ſteht nicht ſowohl unter dem Schutz des<lb/> Staates, als der Staat unter dem Schutz der Ge¬<lb/> lehrſamkeit.</p><lb/> <p>Was auf der andern Seite die Ausſchweifun¬<lb/> gen der Weltverbeſſerer hemmt, iſt wohl eben ſo we¬<lb/> nig troͤſtlich. Dies iſt die Cenſur; man kann in der<lb/> That nicht an die Maͤngel unſrer politiſchen Litera¬<lb/> tur denken, ohne daß uns ſogleich die großen Luͤcken<lb/> einfallen, die <hi rendition="#g">Cenſurluͤcken</hi>, welche von allen den<lb/> Werken erfuͤllt ſeyn koͤnnten, die eben des Preßzwangs<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0230]
Was die in neuerer Zeit ſo haͤufig gewordenen
durchgreifenden Staatsverbeſſerungen und Reorgani¬
ſationen in ihrer Gewaltthaͤtigkeit einigermaßen hemmt,
gewaͤhrt doch keinen ſonderlichen Troſt. Dies iſt
naͤmlich die an ſich ehrwuͤrdige Achtung vor dem Al¬
ten, die aber in dem Zuſtande, wohin uns die Zeit
einmal unaufhaltſam fortgeriſſen hat, niemals mehr
zur Conſequenz des alten Syſtems zuruͤckfuͤhren kann,
und alſo der Conſequenz des neuen nur hinderlich
iſt. Zwiſchen beide ſtellt ſich ein Syſtem von Flick¬
ſyſtemen, es wird beſtaͤndig eingeriſſen und wieder
angebaut, aus allen Zeitaltern und fuͤr alle Staͤnde
haben ſich Inſtitutionen erhalten, und wieder an je¬
dem Orte beſondre, unzaͤhlige neue ſind dem ange¬
klebt worden, und alle verhalten ſich zu den einfa¬
chen, die man haben koͤnnte, wie eine Troͤdlerbude
voll alter Kleider zu einem reinlichen Anzug. Die
Staatspraktiker muͤſſen nicht nur Theoretiker ſeyn,
ſondern auch Hiſtoriker und Philologen, und die Ge¬
lehrſamkeit ſteht nicht ſowohl unter dem Schutz des
Staates, als der Staat unter dem Schutz der Ge¬
lehrſamkeit.
Was auf der andern Seite die Ausſchweifun¬
gen der Weltverbeſſerer hemmt, iſt wohl eben ſo we¬
nig troͤſtlich. Dies iſt die Cenſur; man kann in der
That nicht an die Maͤngel unſrer politiſchen Litera¬
tur denken, ohne daß uns ſogleich die großen Luͤcken
einfallen, die Cenſurluͤcken, welche von allen den
Werken erfuͤllt ſeyn koͤnnten, die eben des Preßzwangs
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