Seite seiner ganzen Kraft sich stolz bewußt ist, kann er auf der andern das Gefühl seiner Abhängigkeit nicht überwinden und ein unwiderstehlicher Zug treibt ihn, in der Geschichte dieselbe Harmonie zu su¬ chen, die er in der Natur findet, sich im Leben einer wohlorganisirten Gewalt hinzugeben, wie in der Na¬ tur. Es ist die Einheit alles Lebens, die sich ihm offenbart und zugleich ihn als untergeordnetes Glied an seinen bestimmten Platz fesselt. Er erkennt die Allmacht des höchsten Wesens, der er nicht entrin¬ nen kann, aber auch die Harmonie der Dinge, der er nicht entrinnen will, die ihn beseligt, in welcher die ewige Liebe sich ausspricht und ihn mit gläubi¬ gem Vertrauen erfüllt. Man darf behaupten, daß dieses Hingeben an die äußre Gewalt älter ist, als die Freiheit. Die Geister wiederholen ursprünglich den plastischen Trieb der Natur im historischen Ge¬ biet und bilden ihren Staat nach dem Typus der Natur, und unterordnen sich, jeglicher nach seiner Art der Harmonie des Ganzen. Dieser bildsame Trieb, der alle Staaten erzeugt hat, äußert sich aber in einer stufenmäßigen Entwicklung. Was er einmal ge¬ schaffen, erhält sich nach dem Gesetz der Trägheit, der Geist aber schreitet rastlos fort in seiner Ent¬ wicklung und fühlt sich bald beengt durch jene star¬ ren Formen und empört sich gegen den Druck, und die Freiheit kommt zur Erscheinung. Sind aber die alten Formen gebrochen, so muß jener plastische Trieb auf einer höhern Entwicklungsstufe immer wieder neue
Seite ſeiner ganzen Kraft ſich ſtolz bewußt iſt, kann er auf der andern das Gefuͤhl ſeiner Abhaͤngigkeit nicht uͤberwinden und ein unwiderſtehlicher Zug treibt ihn, in der Geſchichte dieſelbe Harmonie zu ſu¬ chen, die er in der Natur findet, ſich im Leben einer wohlorganiſirten Gewalt hinzugeben, wie in der Na¬ tur. Es iſt die Einheit alles Lebens, die ſich ihm offenbart und zugleich ihn als untergeordnetes Glied an ſeinen beſtimmten Platz feſſelt. Er erkennt die Allmacht des hoͤchſten Weſens, der er nicht entrin¬ nen kann, aber auch die Harmonie der Dinge, der er nicht entrinnen will, die ihn beſeligt, in welcher die ewige Liebe ſich ausſpricht und ihn mit glaͤubi¬ gem Vertrauen erfuͤllt. Man darf behaupten, daß dieſes Hingeben an die aͤußre Gewalt aͤlter iſt, als die Freiheit. Die Geiſter wiederholen urſpruͤnglich den plaſtiſchen Trieb der Natur im hiſtoriſchen Ge¬ biet und bilden ihren Staat nach dem Typus der Natur, und unterordnen ſich, jeglicher nach ſeiner Art der Harmonie des Ganzen. Dieſer bildſame Trieb, der alle Staaten erzeugt hat, aͤußert ſich aber in einer ſtufenmaͤßigen Entwicklung. Was er einmal ge¬ ſchaffen, erhaͤlt ſich nach dem Geſetz der Traͤgheit, der Geiſt aber ſchreitet raſtlos fort in ſeiner Ent¬ wicklung und fuͤhlt ſich bald beengt durch jene ſtar¬ ren Formen und empoͤrt ſich gegen den Druck, und die Freiheit kommt zur Erſcheinung. Sind aber die alten Formen gebrochen, ſo muß jener plaſtiſche Trieb auf einer hoͤhern Entwicklungsſtufe immer wieder neue
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Seite ſeiner ganzen Kraft ſich ſtolz bewußt iſt, kann
er auf der andern das Gefuͤhl ſeiner Abhaͤngigkeit
nicht uͤberwinden und ein unwiderſtehlicher Zug treibt
ihn, in der Geſchichte dieſelbe Harmonie zu ſu¬
chen, die er in der Natur findet, ſich im Leben einer
wohlorganiſirten Gewalt hinzugeben, wie in der Na¬
tur. Es iſt die Einheit alles Lebens, die ſich ihm
offenbart und zugleich ihn als untergeordnetes Glied
an ſeinen beſtimmten Platz feſſelt. Er erkennt die
Allmacht des hoͤchſten Weſens, der er nicht entrin¬
nen kann, aber auch die Harmonie der Dinge, der
er nicht entrinnen will, die ihn beſeligt, in welcher
die ewige Liebe ſich ausſpricht und ihn mit glaͤubi¬
gem Vertrauen erfuͤllt. Man darf behaupten, daß
dieſes Hingeben an die aͤußre Gewalt aͤlter iſt, als
die Freiheit. Die Geiſter wiederholen urſpruͤnglich
den plaſtiſchen Trieb der Natur im hiſtoriſchen Ge¬
biet und bilden ihren Staat nach dem Typus der
Natur, und unterordnen ſich, jeglicher nach ſeiner
Art der Harmonie des Ganzen. Dieſer bildſame Trieb,
der alle Staaten erzeugt hat, aͤußert ſich aber in
einer ſtufenmaͤßigen Entwicklung. Was er einmal ge¬
ſchaffen, erhaͤlt ſich nach dem Geſetz der Traͤgheit,
der Geiſt aber ſchreitet raſtlos fort in ſeiner Ent¬
wicklung und fuͤhlt ſich bald beengt durch jene ſtar¬
ren Formen und empoͤrt ſich gegen den Druck, und
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alten Formen gebrochen, ſo muß jener plaſtiſche Trieb
auf einer hoͤhern Entwicklungsſtufe immer wieder neue
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/242>, abgerufen am 21.11.2024.
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