Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.Dennoch würden wir uns sehr täuschen, wollten Eine Verfassung, auch die beste, gilt so lange Jedes Volk, das nur einigermaßen aus dem rohe¬ Dennoch wuͤrden wir uns ſehr taͤuſchen, wollten Eine Verfaſſung, auch die beſte, gilt ſo lange Jedes Volk, das nur einigermaßen aus dem rohe¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0252" n="242"/> <p>Dennoch wuͤrden wir uns ſehr taͤuſchen, wollten<lb/> wir in der gegenwaͤrtigen Geſtaltung des Repraͤſen¬<lb/> tativſyſtems ein Ideal erkennen. Man hat ſich an¬<lb/> fangs allzugroße Hoffnungen davon gemacht, und<lb/> ſieht jetzt ein, daß die eigentliche goldene Zeit wohl<lb/> noch ferne liegt. Doch hat der Unmuth auch das<lb/> Gute jenes Verfaſſungsſyſtems zu ſehr herabgewuͤr¬<lb/> digt und ein gewiſſer politiſcher Indifferentismus iſt<lb/> dem Gedeihen deſſelben beſonders in der Richtung,<lb/> die es von unten her unterſtuͤtzen ſoll, mannigfach<lb/> nachtheilig geweſen.</p><lb/> <p>Eine Verfaſſung, auch die beſte, gilt ſo lange<lb/> nur als Figurant, bis ihr Adminiſtration und Rechts¬<lb/> pflege organiſch angepaßt ſind. Hier greift ſie ins<lb/> Leben, aber das Leben iſt nicht ſo geduldig als das<lb/> Papier. Mit Verfaſſungen iſt man geſchwind fertig,<lb/> aber man facht damit eher Streit an, als man ihn<lb/> verſoͤhnt. Im Sinn jeder neuen Repraͤſentativ-Ver¬<lb/> faſſung entſprechen ſich Parlament, Municipalitaͤt und<lb/> oͤffentliche Gerichtspflege als Organe der Volksgewalt<lb/> gegenuͤber dem Thron, der miniſteriellen Centralge¬<lb/> walt und der roͤmiſchen Gerichtspflege als Organe<lb/> der Regierung. Das Parlament iſt leicht berufen,<lb/> und in erſter Reihe das Syſtem eingefuͤhrt, in der<lb/> zweiten und dritten Reihe findet es aber unuͤberſteig¬<lb/> liche Hinderniſſe.</p><lb/> <p>Jedes Volk, das nur einigermaßen aus dem rohe¬<lb/> ſten Zuſtande ſich herausgearbeitet, ſtrebt inſtinktartig<lb/> nach einer freien <hi rendition="#g">Municipalverfaſſung</hi>, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [242/0252]
Dennoch wuͤrden wir uns ſehr taͤuſchen, wollten
wir in der gegenwaͤrtigen Geſtaltung des Repraͤſen¬
tativſyſtems ein Ideal erkennen. Man hat ſich an¬
fangs allzugroße Hoffnungen davon gemacht, und
ſieht jetzt ein, daß die eigentliche goldene Zeit wohl
noch ferne liegt. Doch hat der Unmuth auch das
Gute jenes Verfaſſungsſyſtems zu ſehr herabgewuͤr¬
digt und ein gewiſſer politiſcher Indifferentismus iſt
dem Gedeihen deſſelben beſonders in der Richtung,
die es von unten her unterſtuͤtzen ſoll, mannigfach
nachtheilig geweſen.
Eine Verfaſſung, auch die beſte, gilt ſo lange
nur als Figurant, bis ihr Adminiſtration und Rechts¬
pflege organiſch angepaßt ſind. Hier greift ſie ins
Leben, aber das Leben iſt nicht ſo geduldig als das
Papier. Mit Verfaſſungen iſt man geſchwind fertig,
aber man facht damit eher Streit an, als man ihn
verſoͤhnt. Im Sinn jeder neuen Repraͤſentativ-Ver¬
faſſung entſprechen ſich Parlament, Municipalitaͤt und
oͤffentliche Gerichtspflege als Organe der Volksgewalt
gegenuͤber dem Thron, der miniſteriellen Centralge¬
walt und der roͤmiſchen Gerichtspflege als Organe
der Regierung. Das Parlament iſt leicht berufen,
und in erſter Reihe das Syſtem eingefuͤhrt, in der
zweiten und dritten Reihe findet es aber unuͤberſteig¬
liche Hinderniſſe.
Jedes Volk, das nur einigermaßen aus dem rohe¬
ſten Zuſtande ſich herausgearbeitet, ſtrebt inſtinktartig
nach einer freien Municipalverfaſſung, und
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