Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.besten deutschen Autors eines im Auslande schlecht Übersetzungen sind gewiß besser als Nachahmun¬ Deutsche Literatur. I. 3
beſten deutſchen Autors eines im Auslande ſchlecht Überſetzungen ſind gewiß beſſer als Nachahmun¬ Deutſche Literatur. I. 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="49"/> beſten deutſchen Autors eines im Auslande ſchlecht<lb/> uͤberſetzt wird, ſo werden dagegen die ſaͤmmtlichen<lb/> Werke jedes nur irgend erheblichen engliſchen oder<lb/> franzoͤſiſchen Schriftſtellers in Deutſchland doppelt<lb/> und dreifach uͤberſetzt, ja man thut ihnen die Ehre<lb/> an, noch eignes Fabrikat unter ihrem Namen drucken<lb/> zu laſſen, wie dem Walter Scott. Ohnſtreitig ſind<lb/> Ruhm und Vortheil auf unſrer Seite. Sollten uns<lb/> auch viele Tugenden der Fremden mangeln, ſo thei¬<lb/> len wir mit ihnen doch auch nicht jene vornehme<lb/> Bornirtheit, die das Fremde achſelzuckend ignorirt.<lb/> Es macht uns Ehre, von den großen Britten zu wiſ¬<lb/> ſen; den Britten macht es keine Ehre, von den gro¬<lb/> ßen Deutſchen nichts zu wiſſen.</p><lb/> <p>Überſetzungen ſind gewiß beſſer als Nachahmun¬<lb/> gen, und wer uns einen fremden Dichter uͤberſetzt,<lb/> hat ſicher mehr gethan, als der ihn nur in eigenen<lb/> Dichtungen copirt. Aus demſelben Grunde taugen<lb/> auch die freien Überſetzungen weniger als die treuen.<lb/> Man verſteht aber unter der Treue ſo viel, daß es<lb/> unmoͤglich iſt, ſie ganz zu erreichen. Eine Überſetzung<lb/> kann niemals in allen Stuͤcken treu ſeyn, um es in<lb/> dem einen zu ſeyn, muß ſie das andere aufopfern.<lb/> Daher theilen ſich auch die Überſetzer in zwei Klaſſen.<lb/> Die einen opfern den Inhalt der Form oder den Ge¬<lb/> danken dem Wort, den Sinn dem Klange, die an¬<lb/> dern umgekehrt dieſen jenem auf. Die einen wollen<lb/> die Schoͤnheit und den Wohlklang des fremden Aus¬<lb/> drucks, die andern nur die Klarheit und Verſtaͤnd¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Deutſche Literatur. <hi rendition="#aq">I</hi>. 3<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [49/0059]
beſten deutſchen Autors eines im Auslande ſchlecht
uͤberſetzt wird, ſo werden dagegen die ſaͤmmtlichen
Werke jedes nur irgend erheblichen engliſchen oder
franzoͤſiſchen Schriftſtellers in Deutſchland doppelt
und dreifach uͤberſetzt, ja man thut ihnen die Ehre
an, noch eignes Fabrikat unter ihrem Namen drucken
zu laſſen, wie dem Walter Scott. Ohnſtreitig ſind
Ruhm und Vortheil auf unſrer Seite. Sollten uns
auch viele Tugenden der Fremden mangeln, ſo thei¬
len wir mit ihnen doch auch nicht jene vornehme
Bornirtheit, die das Fremde achſelzuckend ignorirt.
Es macht uns Ehre, von den großen Britten zu wiſ¬
ſen; den Britten macht es keine Ehre, von den gro¬
ßen Deutſchen nichts zu wiſſen.
Überſetzungen ſind gewiß beſſer als Nachahmun¬
gen, und wer uns einen fremden Dichter uͤberſetzt,
hat ſicher mehr gethan, als der ihn nur in eigenen
Dichtungen copirt. Aus demſelben Grunde taugen
auch die freien Überſetzungen weniger als die treuen.
Man verſteht aber unter der Treue ſo viel, daß es
unmoͤglich iſt, ſie ganz zu erreichen. Eine Überſetzung
kann niemals in allen Stuͤcken treu ſeyn, um es in
dem einen zu ſeyn, muß ſie das andere aufopfern.
Daher theilen ſich auch die Überſetzer in zwei Klaſſen.
Die einen opfern den Inhalt der Form oder den Ge¬
danken dem Wort, den Sinn dem Klange, die an¬
dern umgekehrt dieſen jenem auf. Die einen wollen
die Schoͤnheit und den Wohlklang des fremden Aus¬
drucks, die andern nur die Klarheit und Verſtaͤnd¬
Deutſche Literatur. I. 3
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