Beachtung, daß die anerkannt besten Nebenbuhler der griechischen Anmuth und Natürlichkeit Romantiker sind, und zwar in ihren romantischen Darstellungen, nicht in ihren absichtlichen Nachahmungen des Anti¬ ken. Leicht gesellt sich zu dem vollen, kräftigen, tie¬ fen und zarten Gemüth der Romantik die edle, freie und klare Grazie der antiken Form. Darum gelang es auch den Romantikern leicht, die fremde Göttin in ihren Zauberkreis zu ziehen, und den Zopfgelehr¬ ten und Sylbenstechern niemals, wenn sie auch ihre philologischen und mythologischen Briefe für Gevat¬ terbriefe der Athene selbst ausgaben.
Verlassen wir nun die antike Schule, um zur romantischen überzugehn. Auf diesem Wege fin¬ den wir eine Schwierigkeit seltsamer Art. Man weiß nicht recht, was eigentlich unter dem Romantischen verstanden werden soll. Dieser Name wird auf die verschiedenste Weise gebraucht und gerechtfertigt. Im Allgemeinen und dem Namen nach versteht man dar¬ unter die Gattung von Poesie, die zuerst im christ¬ lichen Mittelalter ihren Ursprung nahm und im Geist desselben sich fortentwickelte. Romantisch war die Hierarchie, das Kaiserthum und die ganze Mischung europäischer Völker aus Deutschen, Kelten und Rö¬ mern seit der Völkerwanderung, und romantisch nennt man daher auch die Poesie jener Völker und jener Zeit. Man hat aber auch die moderne Poesie unsrer Zeit mit unter diesem Namen begriffen, obgleich sie der ältern des Mittelalters nur noch theilweise ähn¬
Beachtung, daß die anerkannt beſten Nebenbuhler der griechiſchen Anmuth und Natuͤrlichkeit Romantiker ſind, und zwar in ihren romantiſchen Darſtellungen, nicht in ihren abſichtlichen Nachahmungen des Anti¬ ken. Leicht geſellt ſich zu dem vollen, kraͤftigen, tie¬ fen und zarten Gemuͤth der Romantik die edle, freie und klare Grazie der antiken Form. Darum gelang es auch den Romantikern leicht, die fremde Goͤttin in ihren Zauberkreis zu ziehen, und den Zopfgelehr¬ ten und Sylbenſtechern niemals, wenn ſie auch ihre philologiſchen und mythologiſchen Briefe fuͤr Gevat¬ terbriefe der Athene ſelbſt ausgaben.
Verlaſſen wir nun die antike Schule, um zur romantiſchen uͤberzugehn. Auf dieſem Wege fin¬ den wir eine Schwierigkeit ſeltſamer Art. Man weiß nicht recht, was eigentlich unter dem Romantiſchen verſtanden werden ſoll. Dieſer Name wird auf die verſchiedenſte Weiſe gebraucht und gerechtfertigt. Im Allgemeinen und dem Namen nach verſteht man dar¬ unter die Gattung von Poeſie, die zuerſt im chriſt¬ lichen Mittelalter ihren Urſprung nahm und im Geiſt deſſelben ſich fortentwickelte. Romantiſch war die Hierarchie, das Kaiſerthum und die ganze Miſchung europaͤiſcher Voͤlker aus Deutſchen, Kelten und Roͤ¬ mern ſeit der Voͤlkerwanderung, und romantiſch nennt man daher auch die Poeſie jener Voͤlker und jener Zeit. Man hat aber auch die moderne Poeſie unſrer Zeit mit unter dieſem Namen begriffen, obgleich ſie der aͤltern des Mittelalters nur noch theilweiſe aͤhn¬
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Beachtung, daß die anerkannt beſten Nebenbuhler der
griechiſchen Anmuth und Natuͤrlichkeit Romantiker
ſind, und zwar in ihren romantiſchen Darſtellungen,
nicht in ihren abſichtlichen Nachahmungen des Anti¬
ken. Leicht geſellt ſich zu dem vollen, kraͤftigen, tie¬
fen und zarten Gemuͤth der Romantik die edle, freie
und klare Grazie der antiken Form. Darum gelang
es auch den Romantikern leicht, die fremde Goͤttin
in ihren Zauberkreis zu ziehen, und den Zopfgelehr¬
ten und Sylbenſtechern niemals, wenn ſie auch ihre
philologiſchen und mythologiſchen Briefe fuͤr Gevat¬
terbriefe der Athene ſelbſt ausgaben.
Verlaſſen wir nun die antike Schule, um zur
romantiſchen uͤberzugehn. Auf dieſem Wege fin¬
den wir eine Schwierigkeit ſeltſamer Art. Man weiß
nicht recht, was eigentlich unter dem Romantiſchen
verſtanden werden ſoll. Dieſer Name wird auf die
verſchiedenſte Weiſe gebraucht und gerechtfertigt. Im
Allgemeinen und dem Namen nach verſteht man dar¬
unter die Gattung von Poeſie, die zuerſt im chriſt¬
lichen Mittelalter ihren Urſprung nahm und im Geiſt
deſſelben ſich fortentwickelte. Romantiſch war die
Hierarchie, das Kaiſerthum und die ganze Miſchung
europaͤiſcher Voͤlker aus Deutſchen, Kelten und Roͤ¬
mern ſeit der Voͤlkerwanderung, und romantiſch nennt
man daher auch die Poeſie jener Voͤlker und jener
Zeit. Man hat aber auch die moderne Poeſie unſrer
Zeit mit unter dieſem Namen begriffen, obgleich ſie
der aͤltern des Mittelalters nur noch theilweiſe aͤhn¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/103>, abgerufen am 27.11.2024.
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