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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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auch damit zufrieden. Unbegreifliche Selbsttäuschung!
Wenn der Zuschauer nur dem Dichter in die Karten
sehn kann, so begnügt er sich, ob er gleich das Spiel
selbst verliert. Wenn er nur die Absicht des Dich¬
ters durchschaut, vergißt er, daß er von der Wir¬
kung nichts verspürt. Er prahlt mit den aufgeschnapp¬
ten ästhetischen Brocken, wird aus einem Zuschauer
ein Mitschuldiger des Dichters und fühlt nicht, daß
er allein den Schaden davon hat.

Das natürliche Wohlgefallen am einfachen Schö¬
nen, das nicht erzielt werden kann, wird durch blen¬
dende Künstlichkeit ersetzt. Der Dichter versteigt sich
an die äußersten Gränzen des Möglichen und da ihm
bis dahin kein großer Mann vorangegangen, dünkt
er sich und auch dem rohen Publikum selbst ein gro¬
ßer Mann. Die Poesie leidet hier an derselben for¬
cirten Virtuosität, wie die Musik. Der Künstler
strebt statt des Schönen das Außerordentliche, statt
der einfachen Mitte der Kunst ihre äußersten Enden
darzustellen, wie der Seiltänzer nicht die höchste An¬
muth, sondern nur die höchste Fertigkeit zeigt.

Die erste der fünf romantischen Dichtungsweisen
sucht also, wie wir eben betrachtet haben, das Wun¬
derbare in den äußern Schicksalen des Menschen. Die
zweite sucht es dagegen in den Charakteren. Sie
macht den Menschen und das innre Wunder seiner
Seelengröße und Seelenschönheit zu ihrem Gegen¬
stande. Sie verhält sich also zu der erstgenannten

auch damit zufrieden. Unbegreifliche Selbſttaͤuſchung!
Wenn der Zuſchauer nur dem Dichter in die Karten
ſehn kann, ſo begnuͤgt er ſich, ob er gleich das Spiel
ſelbſt verliert. Wenn er nur die Abſicht des Dich¬
ters durchſchaut, vergißt er, daß er von der Wir¬
kung nichts verſpuͤrt. Er prahlt mit den aufgeſchnapp¬
ten aͤſthetiſchen Brocken, wird aus einem Zuſchauer
ein Mitſchuldiger des Dichters und fuͤhlt nicht, daß
er allein den Schaden davon hat.

Das natuͤrliche Wohlgefallen am einfachen Schoͤ¬
nen, das nicht erzielt werden kann, wird durch blen¬
dende Kuͤnſtlichkeit erſetzt. Der Dichter verſteigt ſich
an die aͤußerſten Graͤnzen des Moͤglichen und da ihm
bis dahin kein großer Mann vorangegangen, duͤnkt
er ſich und auch dem rohen Publikum ſelbſt ein gro¬
ßer Mann. Die Poeſie leidet hier an derſelben for¬
cirten Virtuoſitaͤt, wie die Muſik. Der Kuͤnſtler
ſtrebt ſtatt des Schoͤnen das Außerordentliche, ſtatt
der einfachen Mitte der Kunſt ihre aͤußerſten Enden
darzuſtellen, wie der Seiltaͤnzer nicht die hoͤchſte An¬
muth, ſondern nur die hoͤchſte Fertigkeit zeigt.

Die erſte der fuͤnf romantiſchen Dichtungsweiſen
ſucht alſo, wie wir eben betrachtet haben, das Wun¬
derbare in den aͤußern Schickſalen des Menſchen. Die
zweite ſucht es dagegen in den Charakteren. Sie
macht den Menſchen und das innre Wunder ſeiner
Seelengroͤße und Seelenſchoͤnheit zu ihrem Gegen¬
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[113/0123] auch damit zufrieden. Unbegreifliche Selbſttaͤuſchung! Wenn der Zuſchauer nur dem Dichter in die Karten ſehn kann, ſo begnuͤgt er ſich, ob er gleich das Spiel ſelbſt verliert. Wenn er nur die Abſicht des Dich¬ ters durchſchaut, vergißt er, daß er von der Wir¬ kung nichts verſpuͤrt. Er prahlt mit den aufgeſchnapp¬ ten aͤſthetiſchen Brocken, wird aus einem Zuſchauer ein Mitſchuldiger des Dichters und fuͤhlt nicht, daß er allein den Schaden davon hat. Das natuͤrliche Wohlgefallen am einfachen Schoͤ¬ nen, das nicht erzielt werden kann, wird durch blen¬ dende Kuͤnſtlichkeit erſetzt. Der Dichter verſteigt ſich an die aͤußerſten Graͤnzen des Moͤglichen und da ihm bis dahin kein großer Mann vorangegangen, duͤnkt er ſich und auch dem rohen Publikum ſelbſt ein gro¬ ßer Mann. Die Poeſie leidet hier an derſelben for¬ cirten Virtuoſitaͤt, wie die Muſik. Der Kuͤnſtler ſtrebt ſtatt des Schoͤnen das Außerordentliche, ſtatt der einfachen Mitte der Kunſt ihre aͤußerſten Enden darzuſtellen, wie der Seiltaͤnzer nicht die hoͤchſte An¬ muth, ſondern nur die hoͤchſte Fertigkeit zeigt. Die erſte der fuͤnf romantiſchen Dichtungsweiſen ſucht alſo, wie wir eben betrachtet haben, das Wun¬ derbare in den aͤußern Schickſalen des Menſchen. Die zweite ſucht es dagegen in den Charakteren. Sie macht den Menſchen und das innre Wunder ſeiner Seelengroͤße und Seelenſchoͤnheit zu ihrem Gegen¬ ſtande. Sie verhaͤlt ſich alſo zu der erſtgenannten

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/123>, abgerufen am 25.11.2024.