Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.entlehnt, wieder vom Ideal ab, und man verwech¬ Weil alle Größe und Schönheit der menschlichen Schon vor Lessing suchte man in Trauerspielen entlehnt, wieder vom Ideal ab, und man verwech¬ Weil alle Groͤße und Schoͤnheit der menſchlichen Schon vor Leſſing ſuchte man in Trauerſpielen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="116"/> entlehnt, wieder vom Ideal ab, und man verwech¬<lb/> ſelt leicht die gemeine irdiſche Groͤße mit der innern<lb/> Wuͤrde und Humanitaͤt des Charakters.</p><lb/> <p>Weil alle Groͤße und Schoͤnheit der menſchlichen<lb/> Seele ſich in Handlungen offenbaren muß, ſo iſt dieſe<lb/> idealiſirende Poeſie vorzugsweiſe dramatiſch, und weil<lb/> jene Groͤße ſich im Kampf, jene Schoͤnheit ſich im<lb/> Gegenſatz am glaͤnzendſten offenbart, ſo iſt dieſe Poeſie<lb/> wieder vorzugsweiſe tragiſch.</p><lb/> <p>Schon vor Leſſing ſuchte man in Trauerſpielen<lb/> eine edle und große Menſchlichkeit zu offenbaren, doch<lb/> fielen die Verſuche etwas ſteif moraliſch aus. Man<lb/> gab weniger Menſchen, als abſtracte Tugendhelden<lb/> und was den Menſchen an wunderbarem Reize inne¬<lb/> rer Schoͤnheit fehlte, ſuchte man durch wunderbare<lb/> Begebenheiten zu erſetzen. Erſt Leſſing ſchilderte na¬<lb/> tuͤrliche ſchoͤne Menſchen, und man thut ihn wohl<lb/> Unrecht, wenn man ſich durch das aͤußere Kleid ſei¬<lb/> ner Perſonen verfuͤhren laͤßt, ihr innres Weſen min¬<lb/> der natuͤrlich, mehr abgemeſſen und begriffsmaͤßig zu<lb/> finden. Seine tragiſchen Perſonen ſind ſehr wahr<lb/> und natuͤrlich und handeln ſo, wenn ſie auch etwas<lb/> zu verſtaͤndig reden. Goͤthe befreite die idealiſirende<lb/> Muſe von aller fruͤhern moraliſchen Steifigkeit und<lb/> zeigte zuerſt, wie man die Natur natuͤrlich malen<lb/> muͤſſe, ſey es die gemeine oder die ideale. Nur ſtand<lb/> ihm das Gemeine naͤher, als das Ideale. Wenn<lb/> uns in ſeinen Dichtungen uͤberall die Natur entzuͤckt,<lb/> ſo doch nur ſelten die reine, ſittliche und erhabene<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0126]
entlehnt, wieder vom Ideal ab, und man verwech¬
ſelt leicht die gemeine irdiſche Groͤße mit der innern
Wuͤrde und Humanitaͤt des Charakters.
Weil alle Groͤße und Schoͤnheit der menſchlichen
Seele ſich in Handlungen offenbaren muß, ſo iſt dieſe
idealiſirende Poeſie vorzugsweiſe dramatiſch, und weil
jene Groͤße ſich im Kampf, jene Schoͤnheit ſich im
Gegenſatz am glaͤnzendſten offenbart, ſo iſt dieſe Poeſie
wieder vorzugsweiſe tragiſch.
Schon vor Leſſing ſuchte man in Trauerſpielen
eine edle und große Menſchlichkeit zu offenbaren, doch
fielen die Verſuche etwas ſteif moraliſch aus. Man
gab weniger Menſchen, als abſtracte Tugendhelden
und was den Menſchen an wunderbarem Reize inne¬
rer Schoͤnheit fehlte, ſuchte man durch wunderbare
Begebenheiten zu erſetzen. Erſt Leſſing ſchilderte na¬
tuͤrliche ſchoͤne Menſchen, und man thut ihn wohl
Unrecht, wenn man ſich durch das aͤußere Kleid ſei¬
ner Perſonen verfuͤhren laͤßt, ihr innres Weſen min¬
der natuͤrlich, mehr abgemeſſen und begriffsmaͤßig zu
finden. Seine tragiſchen Perſonen ſind ſehr wahr
und natuͤrlich und handeln ſo, wenn ſie auch etwas
zu verſtaͤndig reden. Goͤthe befreite die idealiſirende
Muſe von aller fruͤhern moraliſchen Steifigkeit und
zeigte zuerſt, wie man die Natur natuͤrlich malen
muͤſſe, ſey es die gemeine oder die ideale. Nur ſtand
ihm das Gemeine naͤher, als das Ideale. Wenn
uns in ſeinen Dichtungen uͤberall die Natur entzuͤckt,
ſo doch nur ſelten die reine, ſittliche und erhabene
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