für das Naturschöne immer unerreichbar bleibt. Seine zerstreuten Schilderungen von Volksfesten sind schon Muster in der Manier, die jetzt durch Walter Scott so weite Verbreitung erlangt hat. Auch darf der geniale Versuch, alle nationellen Eigenthümlichkeiten im Mittelalter in ein großes Gemälde zu fassen und durch Contraste zu erheben, in Fouques Zauberring, nicht vergessen werden, wenn auch die Ausführung selbst die Idee nicht erreicht.
Nachdem bei allen europäischen Völkern in Folge der Zeitereignisse offenbar eine Neigung für das Volksthümliche und Physiognomische herrschend ge¬ worden war, trat in England Walter Scott auf, und befriedigte diese Neigung auf die glänzendste Weise, indem er sie zugleich aufklärte, befestigte, er¬ weiterte. Unter den Kindern der Zeit ist immer eins, das sie zum Liebling sich auswählt, und diese Lieb¬ linge wechseln wie die Zeit selbst. Die unsere hat ihre ganze Zärtlichkeit jenem Britten zugewendet, den man noch immer gern den großen Unbekannten nennt, um ihn als den Dalai Lama der Dichter zu bezeichnen. Walter Scott ist aber nicht nur in dem Maaße der Liebling unsrer Zeit, als andere Dichter die Verehrung früherer Zeiten genossen haben, son¬ dern unzweifelhaft in einem weit höhern Maaße. Noch nie ist ein Dichter so allgemein bei allen Na¬ tionen der gebildeten Welt, ich will nicht sagen be¬ liebt, nur überhaupt bekannt geworden, als Walter Scott. Der ersten Bekanntschaft mit ihm ist aber
fuͤr das Naturſchoͤne immer unerreichbar bleibt. Seine zerſtreuten Schilderungen von Volksfeſten ſind ſchon Muſter in der Manier, die jetzt durch Walter Scott ſo weite Verbreitung erlangt hat. Auch darf der geniale Verſuch, alle nationellen Eigenthuͤmlichkeiten im Mittelalter in ein großes Gemaͤlde zu faſſen und durch Contraſte zu erheben, in Fouqués Zauberring, nicht vergeſſen werden, wenn auch die Ausfuͤhrung ſelbſt die Idee nicht erreicht.
Nachdem bei allen europaͤiſchen Voͤlkern in Folge der Zeitereigniſſe offenbar eine Neigung fuͤr das Volksthuͤmliche und Phyſiognomiſche herrſchend ge¬ worden war, trat in England Walter Scott auf, und befriedigte dieſe Neigung auf die glaͤnzendſte Weiſe, indem er ſie zugleich aufklaͤrte, befeſtigte, er¬ weiterte. Unter den Kindern der Zeit iſt immer eins, das ſie zum Liebling ſich auswaͤhlt, und dieſe Lieb¬ linge wechſeln wie die Zeit ſelbſt. Die unſere hat ihre ganze Zaͤrtlichkeit jenem Britten zugewendet, den man noch immer gern den großen Unbekannten nennt, um ihn als den Dalai Lama der Dichter zu bezeichnen. Walter Scott iſt aber nicht nur in dem Maaße der Liebling unſrer Zeit, als andere Dichter die Verehrung fruͤherer Zeiten genoſſen haben, ſon¬ dern unzweifelhaft in einem weit hoͤhern Maaße. Noch nie iſt ein Dichter ſo allgemein bei allen Na¬ tionen der gebildeten Welt, ich will nicht ſagen be¬ liebt, nur uͤberhaupt bekannt geworden, als Walter Scott. Der erſten Bekanntſchaft mit ihm iſt aber
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="164"/>
fuͤr das Naturſchoͤne immer unerreichbar bleibt. Seine<lb/>
zerſtreuten Schilderungen von Volksfeſten ſind ſchon<lb/>
Muſter in der Manier, die jetzt durch Walter Scott<lb/>ſo weite Verbreitung erlangt hat. Auch darf der<lb/>
geniale Verſuch, alle nationellen Eigenthuͤmlichkeiten<lb/>
im Mittelalter in ein großes Gemaͤlde zu faſſen und<lb/>
durch Contraſte zu erheben, in Fouqués Zauberring,<lb/>
nicht vergeſſen werden, wenn auch die Ausfuͤhrung<lb/>ſelbſt die Idee nicht erreicht.</p><lb/><p>Nachdem bei allen europaͤiſchen Voͤlkern in Folge<lb/>
der Zeitereigniſſe offenbar eine Neigung fuͤr das<lb/>
Volksthuͤmliche und Phyſiognomiſche herrſchend ge¬<lb/>
worden war, trat in England <hirendition="#g">Walter Scott</hi> auf,<lb/>
und befriedigte dieſe Neigung auf die glaͤnzendſte<lb/>
Weiſe, indem er ſie zugleich aufklaͤrte, befeſtigte, er¬<lb/>
weiterte. Unter den Kindern der Zeit iſt immer eins,<lb/>
das ſie zum Liebling ſich auswaͤhlt, und dieſe Lieb¬<lb/>
linge wechſeln wie die Zeit ſelbſt. Die unſere hat<lb/>
ihre ganze Zaͤrtlichkeit jenem Britten zugewendet, den<lb/>
man noch immer gern den großen Unbekannten<lb/>
nennt, um ihn als den Dalai Lama der Dichter zu<lb/>
bezeichnen. Walter Scott iſt aber nicht nur in dem<lb/>
Maaße der Liebling unſrer Zeit, als andere Dichter<lb/>
die Verehrung fruͤherer Zeiten genoſſen haben, ſon¬<lb/>
dern unzweifelhaft in einem weit hoͤhern Maaße.<lb/>
Noch nie iſt ein Dichter ſo allgemein bei allen Na¬<lb/>
tionen der gebildeten Welt, ich will nicht ſagen be¬<lb/>
liebt, nur uͤberhaupt bekannt geworden, als Walter<lb/>
Scott. Der erſten Bekanntſchaft mit ihm iſt aber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0174]
fuͤr das Naturſchoͤne immer unerreichbar bleibt. Seine
zerſtreuten Schilderungen von Volksfeſten ſind ſchon
Muſter in der Manier, die jetzt durch Walter Scott
ſo weite Verbreitung erlangt hat. Auch darf der
geniale Verſuch, alle nationellen Eigenthuͤmlichkeiten
im Mittelalter in ein großes Gemaͤlde zu faſſen und
durch Contraſte zu erheben, in Fouqués Zauberring,
nicht vergeſſen werden, wenn auch die Ausfuͤhrung
ſelbſt die Idee nicht erreicht.
Nachdem bei allen europaͤiſchen Voͤlkern in Folge
der Zeitereigniſſe offenbar eine Neigung fuͤr das
Volksthuͤmliche und Phyſiognomiſche herrſchend ge¬
worden war, trat in England Walter Scott auf,
und befriedigte dieſe Neigung auf die glaͤnzendſte
Weiſe, indem er ſie zugleich aufklaͤrte, befeſtigte, er¬
weiterte. Unter den Kindern der Zeit iſt immer eins,
das ſie zum Liebling ſich auswaͤhlt, und dieſe Lieb¬
linge wechſeln wie die Zeit ſelbſt. Die unſere hat
ihre ganze Zaͤrtlichkeit jenem Britten zugewendet, den
man noch immer gern den großen Unbekannten
nennt, um ihn als den Dalai Lama der Dichter zu
bezeichnen. Walter Scott iſt aber nicht nur in dem
Maaße der Liebling unſrer Zeit, als andere Dichter
die Verehrung fruͤherer Zeiten genoſſen haben, ſon¬
dern unzweifelhaft in einem weit hoͤhern Maaße.
Noch nie iſt ein Dichter ſo allgemein bei allen Na¬
tionen der gebildeten Welt, ich will nicht ſagen be¬
liebt, nur uͤberhaupt bekannt geworden, als Walter
Scott. Der erſten Bekanntſchaft mit ihm iſt aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/174>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.