wirklich überall eine gränzenlose Werthschätzung und Vorliebe gefolgt. Nur einzelne Männer haben diesem Strome der Begeisterung sich widersetzt, die große Masse des Publikums ist überall davon fortgerissen worden, und mit Erstaunen sehn wir zum ersten Mal alle noch so verschiedenen Völker in ein und demselben Geschmack übereinstimmen. Noch wichtiger ist der Umstand, daß seine Manier überall nachgeahmt wird, und daß er der Vater einer neuen, die halbe Welt überschwemmenden Literatur geworden ist. Nachahmer hat es immer gegeben, aber so zu Hunderten sind sie doch nie aus allen Winkeln der Erde hervorgeschossen, und noch nie hat ein Dichter oder eine Dichtungsart sich so auffallend vervielfältigt. Man muß bei die¬ sem Romanenkraut, das so leicht in jedem Boden Wurzel faßt und um sich wuchert, unwillkürlich an die Kartoffeln denken, die sich einst aus demselben Lande und auf dieselbe Weise über ganz Europa ver¬ breiteten. Alles baut jetzt die wohlfeile Frucht, und die literarische Ökonomie erlebt eine der größten Ka¬ tastrophen. Das neue Nahrungsmittel für die See¬ len führt zugleich im Geschmack, und ich möchte sa¬ gen, in der ganzen Constitution derselben eine eben so große Katastrophe herbei. Kaum hat ein Mensch davon gekostet, so muß er immer wieder kosten, und die verschiedensten Nationen sitzen ohne Neid und Eckel brüderlich an einer Schüssel, und eben so brü¬ derlich der Ladendiener, der die Neunkreuzerausgabe nur mit der Elle messen kann, und der tiefsinnigste
wirklich uͤberall eine graͤnzenloſe Werthſchaͤtzung und Vorliebe gefolgt. Nur einzelne Maͤnner haben dieſem Strome der Begeiſterung ſich widerſetzt, die große Maſſe des Publikums iſt uͤberall davon fortgeriſſen worden, und mit Erſtaunen ſehn wir zum erſten Mal alle noch ſo verſchiedenen Voͤlker in ein und demſelben Geſchmack uͤbereinſtimmen. Noch wichtiger iſt der Umſtand, daß ſeine Manier uͤberall nachgeahmt wird, und daß er der Vater einer neuen, die halbe Welt uͤberſchwemmenden Literatur geworden iſt. Nachahmer hat es immer gegeben, aber ſo zu Hunderten ſind ſie doch nie aus allen Winkeln der Erde hervorgeſchoſſen, und noch nie hat ein Dichter oder eine Dichtungsart ſich ſo auffallend vervielfaͤltigt. Man muß bei die¬ ſem Romanenkraut, das ſo leicht in jedem Boden Wurzel faßt und um ſich wuchert, unwillkuͤrlich an die Kartoffeln denken, die ſich einſt aus demſelben Lande und auf dieſelbe Weiſe uͤber ganz Europa ver¬ breiteten. Alles baut jetzt die wohlfeile Frucht, und die literariſche Ökonomie erlebt eine der groͤßten Ka¬ taſtrophen. Das neue Nahrungsmittel fuͤr die See¬ len fuͤhrt zugleich im Geſchmack, und ich moͤchte ſa¬ gen, in der ganzen Conſtitution derſelben eine eben ſo große Kataſtrophe herbei. Kaum hat ein Menſch davon gekoſtet, ſo muß er immer wieder koſten, und die verſchiedenſten Nationen ſitzen ohne Neid und Eckel bruͤderlich an einer Schuͤſſel, und eben ſo bruͤ¬ derlich der Ladendiener, der die Neunkreuzerausgabe nur mit der Elle meſſen kann, und der tiefſinnigſte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0175"n="165"/>
wirklich uͤberall eine graͤnzenloſe Werthſchaͤtzung und<lb/>
Vorliebe gefolgt. Nur einzelne Maͤnner haben dieſem<lb/>
Strome der Begeiſterung ſich widerſetzt, die große<lb/>
Maſſe des Publikums iſt uͤberall davon fortgeriſſen<lb/>
worden, und mit Erſtaunen ſehn wir zum erſten Mal<lb/>
alle noch ſo verſchiedenen Voͤlker in ein und demſelben<lb/>
Geſchmack uͤbereinſtimmen. Noch wichtiger iſt der<lb/>
Umſtand, daß ſeine Manier uͤberall nachgeahmt wird,<lb/>
und daß er der Vater einer neuen, die halbe Welt<lb/>
uͤberſchwemmenden Literatur geworden iſt. Nachahmer<lb/>
hat es immer gegeben, aber ſo zu Hunderten ſind ſie<lb/>
doch nie aus allen Winkeln der Erde hervorgeſchoſſen,<lb/>
und noch nie hat ein Dichter oder eine Dichtungsart<lb/>ſich ſo auffallend vervielfaͤltigt. Man muß bei die¬<lb/>ſem Romanenkraut, das ſo leicht in jedem Boden<lb/>
Wurzel faßt und um ſich wuchert, unwillkuͤrlich an<lb/>
die Kartoffeln denken, die ſich einſt aus demſelben<lb/>
Lande und auf dieſelbe Weiſe uͤber ganz Europa ver¬<lb/>
breiteten. Alles baut jetzt die wohlfeile Frucht, und<lb/>
die literariſche Ökonomie erlebt eine der groͤßten Ka¬<lb/>
taſtrophen. Das neue Nahrungsmittel fuͤr die See¬<lb/>
len fuͤhrt zugleich im Geſchmack, und ich moͤchte ſa¬<lb/>
gen, in der ganzen Conſtitution derſelben eine eben<lb/>ſo große Kataſtrophe herbei. Kaum hat ein Menſch<lb/>
davon gekoſtet, ſo muß er immer wieder koſten, und<lb/>
die verſchiedenſten Nationen ſitzen ohne Neid und<lb/>
Eckel bruͤderlich an einer Schuͤſſel, und eben ſo bruͤ¬<lb/>
derlich der Ladendiener, der die Neunkreuzerausgabe<lb/>
nur mit der Elle meſſen kann, und der tiefſinnigſte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[165/0175]
wirklich uͤberall eine graͤnzenloſe Werthſchaͤtzung und
Vorliebe gefolgt. Nur einzelne Maͤnner haben dieſem
Strome der Begeiſterung ſich widerſetzt, die große
Maſſe des Publikums iſt uͤberall davon fortgeriſſen
worden, und mit Erſtaunen ſehn wir zum erſten Mal
alle noch ſo verſchiedenen Voͤlker in ein und demſelben
Geſchmack uͤbereinſtimmen. Noch wichtiger iſt der
Umſtand, daß ſeine Manier uͤberall nachgeahmt wird,
und daß er der Vater einer neuen, die halbe Welt
uͤberſchwemmenden Literatur geworden iſt. Nachahmer
hat es immer gegeben, aber ſo zu Hunderten ſind ſie
doch nie aus allen Winkeln der Erde hervorgeſchoſſen,
und noch nie hat ein Dichter oder eine Dichtungsart
ſich ſo auffallend vervielfaͤltigt. Man muß bei die¬
ſem Romanenkraut, das ſo leicht in jedem Boden
Wurzel faßt und um ſich wuchert, unwillkuͤrlich an
die Kartoffeln denken, die ſich einſt aus demſelben
Lande und auf dieſelbe Weiſe uͤber ganz Europa ver¬
breiteten. Alles baut jetzt die wohlfeile Frucht, und
die literariſche Ökonomie erlebt eine der groͤßten Ka¬
taſtrophen. Das neue Nahrungsmittel fuͤr die See¬
len fuͤhrt zugleich im Geſchmack, und ich moͤchte ſa¬
gen, in der ganzen Conſtitution derſelben eine eben
ſo große Kataſtrophe herbei. Kaum hat ein Menſch
davon gekoſtet, ſo muß er immer wieder koſten, und
die verſchiedenſten Nationen ſitzen ohne Neid und
Eckel bruͤderlich an einer Schuͤſſel, und eben ſo bruͤ¬
derlich der Ladendiener, der die Neunkreuzerausgabe
nur mit der Elle meſſen kann, und der tiefſinnigſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/175>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.