Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

und satyrische sind, welche das moderne Leben ironi¬
siren oder verspotten. Das eben hat unserm Humor
eine so große Bedeutung gegeben, daß er unser gan¬
zes gegenwärtiges Daseyn bemitleidet oder verachtet,
während die ältern Satyriker nur einzelne Schlech¬
tigkeiten geißelten.

Wir unterscheiden nun wesentlich dreierlei Gat¬
tungen der modernen Poesie, eine didaktische oder
psychologische, eine sentimentale und eine humoristi¬
sche. Man schildert das moderne Leben, um Beleh¬
rungen daran zu knüpfen, oder um sich mit selbst¬
gefälliger Sentimentalität daran zu ergötzen, oder
um es zu ironisiren.

Die älteste dieser Gattungen war die didakti¬
sche
. Man entwarf Sittengemälde, moralische Er¬
zählungen, um entweder die Sittengesetze durch den
Reiz der modernen Darstellung zu empfehlen, oder
diesen Darstellungen durch einen moralischen Reiz Ein¬
gang zu verschaffen. Es hielt in der That schwer,
Schilderungen aus dem gemeinen Leben der Gegen¬
wart in die Poesie zu bringen, die man für viel zu
vornehm dazu hielt. Man wollte auf der Bühne wie
in den Romanen nur Götter und Helden oder Schä¬
fer, nicht aber gewöhnliche neumodische Menschen
sehn. Die Engländer waren sowohl von Natur als
durch ihren großen Shakespeare solchen Vorurtheilen
entgegen. Sie verwarfen den französischen Geschmack,
der sich auch bei ihnen besonders durch Pope einge¬
drungen, und kehrten zur eignen Natur zurück. Nur

und ſatyriſche ſind, welche das moderne Leben ironi¬
ſiren oder verſpotten. Das eben hat unſerm Humor
eine ſo große Bedeutung gegeben, daß er unſer gan¬
zes gegenwaͤrtiges Daſeyn bemitleidet oder verachtet,
waͤhrend die aͤltern Satyriker nur einzelne Schlech¬
tigkeiten geißelten.

Wir unterſcheiden nun weſentlich dreierlei Gat¬
tungen der modernen Poeſie, eine didaktiſche oder
pſychologiſche, eine ſentimentale und eine humoriſti¬
ſche. Man ſchildert das moderne Leben, um Beleh¬
rungen daran zu knuͤpfen, oder um ſich mit ſelbſt¬
gefaͤlliger Sentimentalitaͤt daran zu ergoͤtzen, oder
um es zu ironiſiren.

Die aͤlteſte dieſer Gattungen war die didakti¬
ſche
. Man entwarf Sittengemaͤlde, moraliſche Er¬
zaͤhlungen, um entweder die Sittengeſetze durch den
Reiz der modernen Darſtellung zu empfehlen, oder
dieſen Darſtellungen durch einen moraliſchen Reiz Ein¬
gang zu verſchaffen. Es hielt in der That ſchwer,
Schilderungen aus dem gemeinen Leben der Gegen¬
wart in die Poeſie zu bringen, die man fuͤr viel zu
vornehm dazu hielt. Man wollte auf der Buͤhne wie
in den Romanen nur Goͤtter und Helden oder Schaͤ¬
fer, nicht aber gewoͤhnliche neumodiſche Menſchen
ſehn. Die Englaͤnder waren ſowohl von Natur als
durch ihren großen Shakeſpeare ſolchen Vorurtheilen
entgegen. Sie verwarfen den franzoͤſiſchen Geſchmack,
der ſich auch bei ihnen beſonders durch Pope einge¬
drungen, und kehrten zur eignen Natur zuruͤck. Nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0200" n="190"/>
und &#x017F;atyri&#x017F;che &#x017F;ind, welche das moderne Leben ironi¬<lb/>
&#x017F;iren oder ver&#x017F;potten. Das eben hat un&#x017F;erm Humor<lb/>
eine &#x017F;o große Bedeutung gegeben, daß er un&#x017F;er gan¬<lb/>
zes gegenwa&#x0364;rtiges Da&#x017F;eyn bemitleidet oder verachtet,<lb/>
wa&#x0364;hrend die a&#x0364;ltern Satyriker nur einzelne Schlech¬<lb/>
tigkeiten geißelten.</p><lb/>
        <p>Wir unter&#x017F;cheiden nun we&#x017F;entlich dreierlei Gat¬<lb/>
tungen der modernen Poe&#x017F;ie, eine didakti&#x017F;che oder<lb/>
p&#x017F;ychologi&#x017F;che, eine &#x017F;entimentale und eine humori&#x017F;ti¬<lb/>
&#x017F;che. Man &#x017F;childert das moderne Leben, um Beleh¬<lb/>
rungen daran zu knu&#x0364;pfen, oder um &#x017F;ich mit &#x017F;elb&#x017F;<lb/>
gefa&#x0364;lliger Sentimentalita&#x0364;t daran zu ergo&#x0364;tzen, oder<lb/>
um es zu ironi&#x017F;iren.</p><lb/>
        <p>Die a&#x0364;lte&#x017F;te die&#x017F;er Gattungen war die <hi rendition="#g">didakti¬<lb/>
&#x017F;che</hi>. Man entwarf Sittengema&#x0364;lde, morali&#x017F;che Er¬<lb/>
za&#x0364;hlungen, um entweder die Sittenge&#x017F;etze durch den<lb/>
Reiz der modernen Dar&#x017F;tellung zu empfehlen, oder<lb/>
die&#x017F;en Dar&#x017F;tellungen durch einen morali&#x017F;chen Reiz Ein¬<lb/>
gang zu ver&#x017F;chaffen. Es hielt in der That &#x017F;chwer,<lb/>
Schilderungen aus dem gemeinen Leben der Gegen¬<lb/>
wart in die Poe&#x017F;ie zu bringen, die man fu&#x0364;r viel zu<lb/>
vornehm dazu hielt. Man wollte auf der Bu&#x0364;hne wie<lb/>
in den Romanen nur Go&#x0364;tter und Helden oder Scha&#x0364;¬<lb/>
fer, nicht aber gewo&#x0364;hnliche neumodi&#x017F;che Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ehn. Die Engla&#x0364;nder waren &#x017F;owohl von Natur als<lb/>
durch ihren großen Shake&#x017F;peare &#x017F;olchen Vorurtheilen<lb/>
entgegen. Sie verwarfen den franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;chmack,<lb/>
der &#x017F;ich auch bei ihnen be&#x017F;onders durch Pope einge¬<lb/>
drungen, und kehrten zur eignen Natur zuru&#x0364;ck. Nur<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0200] und ſatyriſche ſind, welche das moderne Leben ironi¬ ſiren oder verſpotten. Das eben hat unſerm Humor eine ſo große Bedeutung gegeben, daß er unſer gan¬ zes gegenwaͤrtiges Daſeyn bemitleidet oder verachtet, waͤhrend die aͤltern Satyriker nur einzelne Schlech¬ tigkeiten geißelten. Wir unterſcheiden nun weſentlich dreierlei Gat¬ tungen der modernen Poeſie, eine didaktiſche oder pſychologiſche, eine ſentimentale und eine humoriſti¬ ſche. Man ſchildert das moderne Leben, um Beleh¬ rungen daran zu knuͤpfen, oder um ſich mit ſelbſt¬ gefaͤlliger Sentimentalitaͤt daran zu ergoͤtzen, oder um es zu ironiſiren. Die aͤlteſte dieſer Gattungen war die didakti¬ ſche. Man entwarf Sittengemaͤlde, moraliſche Er¬ zaͤhlungen, um entweder die Sittengeſetze durch den Reiz der modernen Darſtellung zu empfehlen, oder dieſen Darſtellungen durch einen moraliſchen Reiz Ein¬ gang zu verſchaffen. Es hielt in der That ſchwer, Schilderungen aus dem gemeinen Leben der Gegen¬ wart in die Poeſie zu bringen, die man fuͤr viel zu vornehm dazu hielt. Man wollte auf der Buͤhne wie in den Romanen nur Goͤtter und Helden oder Schaͤ¬ fer, nicht aber gewoͤhnliche neumodiſche Menſchen ſehn. Die Englaͤnder waren ſowohl von Natur als durch ihren großen Shakeſpeare ſolchen Vorurtheilen entgegen. Sie verwarfen den franzoͤſiſchen Geſchmack, der ſich auch bei ihnen beſonders durch Pope einge¬ drungen, und kehrten zur eignen Natur zuruͤck. Nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/200
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/200>, abgerufen am 21.11.2024.