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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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stellen soll, so doch auch die Natur, das Wirkliche,
nur in den Gränzen des Schönen, und hier läßt es
die moderne Poesie nur zu häufig fehlen. Sie hat
nicht den richtigsten und reinsten Begriff vom Schö¬
nen und von den Schranken, in welchen sie die Na¬
tur copiren darf. Ihr Urtheil über das Schöne, ihre
Auswahl desselben, erscheint nur zu oft bestochen durch
Nebenrücksichten. Sie hält für schön, was ganz an¬
dern Bedürfnissen, als dem ästhetischen schmeichelt.
Reize der Gewohnheit, Mode und Eitelkeit gelten
ihr für ästhetisch und sie mischt in ihre Gemälde sehr
gemeine und unästhetische Farben und Züge mit de¬
nen, die der Schönheit allein zukommen dürfen. Diese
Gemälde sind weit weniger Darstellungen des Schö¬
nen in unserm modernen Leben, als Beschönigungen
und sentimentale Beliebäugelungen der Schwächen,
Irrthümer und Laster desselben.

Gewohnheit und Eigenliebe unterstützen diesen
Mißbrauch der poetischen Darstellung. Man erkennt
das Falsche und Häßliche darin nicht, weil man es
gewohnt ist, weil man es von jeher gebilligt hat,
oder man erkennt es zwar in seiner wahren Natur,
billigt es aber doch und ergötzt sich daran, weil es
irgend einer Neigung schmeichelt und sie beschönigt.
Das für schön gepriesene Nichtschöne läßt sich auf
folgendes zurückführen, und es ist der Mühe werth,
näher auf unsre Selbsttäuschung einzugehn, weil sie
in ihren weitverbreiteten Wirkungen uns zum Scha¬
den jetzt, und zum Schimpf bei der Nachwelt gereicht.

ſtellen ſoll, ſo doch auch die Natur, das Wirkliche,
nur in den Graͤnzen des Schoͤnen, und hier laͤßt es
die moderne Poeſie nur zu haͤufig fehlen. Sie hat
nicht den richtigſten und reinſten Begriff vom Schoͤ¬
nen und von den Schranken, in welchen ſie die Na¬
tur copiren darf. Ihr Urtheil uͤber das Schoͤne, ihre
Auswahl deſſelben, erſcheint nur zu oft beſtochen durch
Nebenruͤckſichten. Sie haͤlt fuͤr ſchoͤn, was ganz an¬
dern Beduͤrfniſſen, als dem aͤſthetiſchen ſchmeichelt.
Reize der Gewohnheit, Mode und Eitelkeit gelten
ihr fuͤr aͤſthetiſch und ſie miſcht in ihre Gemaͤlde ſehr
gemeine und unaͤſthetiſche Farben und Zuͤge mit de¬
nen, die der Schoͤnheit allein zukommen duͤrfen. Dieſe
Gemaͤlde ſind weit weniger Darſtellungen des Schoͤ¬
nen in unſerm modernen Leben, als Beſchoͤnigungen
und ſentimentale Beliebaͤugelungen der Schwaͤchen,
Irrthuͤmer und Laſter deſſelben.

Gewohnheit und Eigenliebe unterſtuͤtzen dieſen
Mißbrauch der poetiſchen Darſtellung. Man erkennt
das Falſche und Haͤßliche darin nicht, weil man es
gewohnt iſt, weil man es von jeher gebilligt hat,
oder man erkennt es zwar in ſeiner wahren Natur,
billigt es aber doch und ergoͤtzt ſich daran, weil es
irgend einer Neigung ſchmeichelt und ſie beſchoͤnigt.
Das fuͤr ſchoͤn geprieſene Nichtſchoͤne laͤßt ſich auf
folgendes zuruͤckfuͤhren, und es iſt der Muͤhe werth,
naͤher auf unſre Selbſttaͤuſchung einzugehn, weil ſie
in ihren weitverbreiteten Wirkungen uns zum Scha¬
den jetzt, und zum Schimpf bei der Nachwelt gereicht.

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[194/0204] ſtellen ſoll, ſo doch auch die Natur, das Wirkliche, nur in den Graͤnzen des Schoͤnen, und hier laͤßt es die moderne Poeſie nur zu haͤufig fehlen. Sie hat nicht den richtigſten und reinſten Begriff vom Schoͤ¬ nen und von den Schranken, in welchen ſie die Na¬ tur copiren darf. Ihr Urtheil uͤber das Schoͤne, ihre Auswahl deſſelben, erſcheint nur zu oft beſtochen durch Nebenruͤckſichten. Sie haͤlt fuͤr ſchoͤn, was ganz an¬ dern Beduͤrfniſſen, als dem aͤſthetiſchen ſchmeichelt. Reize der Gewohnheit, Mode und Eitelkeit gelten ihr fuͤr aͤſthetiſch und ſie miſcht in ihre Gemaͤlde ſehr gemeine und unaͤſthetiſche Farben und Zuͤge mit de¬ nen, die der Schoͤnheit allein zukommen duͤrfen. Dieſe Gemaͤlde ſind weit weniger Darſtellungen des Schoͤ¬ nen in unſerm modernen Leben, als Beſchoͤnigungen und ſentimentale Beliebaͤugelungen der Schwaͤchen, Irrthuͤmer und Laſter deſſelben. Gewohnheit und Eigenliebe unterſtuͤtzen dieſen Mißbrauch der poetiſchen Darſtellung. Man erkennt das Falſche und Haͤßliche darin nicht, weil man es gewohnt iſt, weil man es von jeher gebilligt hat, oder man erkennt es zwar in ſeiner wahren Natur, billigt es aber doch und ergoͤtzt ſich daran, weil es irgend einer Neigung ſchmeichelt und ſie beſchoͤnigt. Das fuͤr ſchoͤn geprieſene Nichtſchoͤne laͤßt ſich auf folgendes zuruͤckfuͤhren, und es iſt der Muͤhe werth, naͤher auf unſre Selbſttaͤuſchung einzugehn, weil ſie in ihren weitverbreiteten Wirkungen uns zum Scha¬ den jetzt, und zum Schimpf bei der Nachwelt gereicht.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/204>, abgerufen am 21.11.2024.