beliebten Halbheit stehn, nicht kalt, nicht warm; frech genug, um die Sinne zu verführen, anständig genug, um die Moral zu bestechen.
Mit einem Wort, die Kraft reicht weder zur wahren Tugend, noch zum wahren Laster aus. Nur in der Darstellung der Leiden und Verruchtheiten, die aus der Schwäche, Sinnlichkeit und Erbärmlichkeit dieser Helden hervorgehn, übertreffen wir jede frü¬ here Poesie. In der Grausamkeit haben wir es am weitesten gebracht. Unsre belletristischen Schriften wimmeln von Schlachtopfern niederträchtiger Neigun¬ gen und Vorurtheile, die sämmtlich aus Unkraft und Schlechtigkeit der nur allzutreu der Wirklichkeit nach¬ copirten Menschen hervorgehn. Unsre Dichter haben diese Grausamkeit recht eigentlich zu ihrem Studium gemacht, und in den Seelenmartern übertreffen sie alles, was früher von körperlichen Qualen uns be¬ kannt worden ist. Sie begnügen sich nicht, die em¬ pfindlichsten Leiden zu ersinnen, sie präpariren sich auch erst ihre Opfer dergestalt zu, daß ihnen selbst geringe Leiden die ärgsten Schmerzen bereiten müssen. Sie benützen jede Schwäche, jedes Vorurtheil, um ein Gift daraus zu ziehn.
Alles dieses trägt den Charakter der Ohnmacht, einer abgeschwächten Zeit. Mit dieser Schwäche ver¬ bindet sich sodann ein andrer, nicht minder beach¬ tenswerther Charakterzug unsrer modernen Dichtun¬ gen. Man sucht nämlich die erschlaffte und verderbte Natur mit einem Surrogat zu ersetzen, mit jener
beliebten Halbheit ſtehn, nicht kalt, nicht warm; frech genug, um die Sinne zu verfuͤhren, anſtaͤndig genug, um die Moral zu beſtechen.
Mit einem Wort, die Kraft reicht weder zur wahren Tugend, noch zum wahren Laſter aus. Nur in der Darſtellung der Leiden und Verruchtheiten, die aus der Schwaͤche, Sinnlichkeit und Erbaͤrmlichkeit dieſer Helden hervorgehn, uͤbertreffen wir jede fruͤ¬ here Poeſie. In der Grauſamkeit haben wir es am weiteſten gebracht. Unſre belletriſtiſchen Schriften wimmeln von Schlachtopfern niedertraͤchtiger Neigun¬ gen und Vorurtheile, die ſaͤmmtlich aus Unkraft und Schlechtigkeit der nur allzutreu der Wirklichkeit nach¬ copirten Menſchen hervorgehn. Unſre Dichter haben dieſe Grauſamkeit recht eigentlich zu ihrem Studium gemacht, und in den Seelenmartern uͤbertreffen ſie alles, was fruͤher von koͤrperlichen Qualen uns be¬ kannt worden iſt. Sie begnuͤgen ſich nicht, die em¬ pfindlichſten Leiden zu erſinnen, ſie praͤpariren ſich auch erſt ihre Opfer dergeſtalt zu, daß ihnen ſelbſt geringe Leiden die aͤrgſten Schmerzen bereiten muͤſſen. Sie benuͤtzen jede Schwaͤche, jedes Vorurtheil, um ein Gift daraus zu ziehn.
Alles dieſes traͤgt den Charakter der Ohnmacht, einer abgeſchwaͤchten Zeit. Mit dieſer Schwaͤche ver¬ bindet ſich ſodann ein andrer, nicht minder beach¬ tenswerther Charakterzug unſrer modernen Dichtun¬ gen. Man ſucht naͤmlich die erſchlaffte und verderbte Natur mit einem Surrogat zu erſetzen, mit jener
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beliebten Halbheit ſtehn, nicht kalt, nicht warm; frech
genug, um die Sinne zu verfuͤhren, anſtaͤndig genug,
um die Moral zu beſtechen.
Mit einem Wort, die Kraft reicht weder zur
wahren Tugend, noch zum wahren Laſter aus. Nur
in der Darſtellung der Leiden und Verruchtheiten, die
aus der Schwaͤche, Sinnlichkeit und Erbaͤrmlichkeit
dieſer Helden hervorgehn, uͤbertreffen wir jede fruͤ¬
here Poeſie. In der Grauſamkeit haben wir es am
weiteſten gebracht. Unſre belletriſtiſchen Schriften
wimmeln von Schlachtopfern niedertraͤchtiger Neigun¬
gen und Vorurtheile, die ſaͤmmtlich aus Unkraft und
Schlechtigkeit der nur allzutreu der Wirklichkeit nach¬
copirten Menſchen hervorgehn. Unſre Dichter haben
dieſe Grauſamkeit recht eigentlich zu ihrem Studium
gemacht, und in den Seelenmartern uͤbertreffen ſie
alles, was fruͤher von koͤrperlichen Qualen uns be¬
kannt worden iſt. Sie begnuͤgen ſich nicht, die em¬
pfindlichſten Leiden zu erſinnen, ſie praͤpariren ſich
auch erſt ihre Opfer dergeſtalt zu, daß ihnen ſelbſt
geringe Leiden die aͤrgſten Schmerzen bereiten muͤſſen.
Sie benuͤtzen jede Schwaͤche, jedes Vorurtheil, um
ein Gift daraus zu ziehn.
Alles dieſes traͤgt den Charakter der Ohnmacht,
einer abgeſchwaͤchten Zeit. Mit dieſer Schwaͤche ver¬
bindet ſich ſodann ein andrer, nicht minder beach¬
tenswerther Charakterzug unſrer modernen Dichtun¬
gen. Man ſucht naͤmlich die erſchlaffte und verderbte
Natur mit einem Surrogat zu erſetzen, mit jener
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/209>, abgerufen am 24.11.2024.
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